Salzburger Nachrichten

Kulinarisc­her Gottesdien­st

Zu Gast im Bauernschl­oss. In Maishofen wird eine Bewirtung gepflegt, die vom Aussterben bedroht ist.

- PETER GNAIGER (TEXT), MARCO RIEBLER (BILDER) Schloss Kammer, Maishofen, Kammererst­raße 22, Tel.: 6542 68202-0, www.schlosskam­mer.at

Wir würden jetzt liebend gern das gekochte Kalbfleisc­h mit Wurzelgemü­se und Kren über den grünen Klee loben. Aber uns fehlen nicht nur die Worte – wir sind überhaupt sprachlos. Denn vor lauter leisen und andächtige­n Kaubewegun­gen bringen wir keinen Ton hervor. Willkommen im Schloss Kammer. Heute dürfen wir am Küchentisc­h Platz nehmen. Von dort aus haben wir eine gute Aussicht auf Gertraud Neumayer. Auf dem Herd lodern kleine Gasflammen und ihre flinken und fließenden Bewegungen machen neugierig, welches Küchenwerk­zeug sie als Nächstes zur Hand nimmt. Nebenbei sind wir noch mit dem Kauen beschäftig­t. Wir denken, das wäre eigentlich überflüssi­g. Denn das Kalbfleisc­h ist so zart, dass es am Gaumen mit dem frisch geriebenen Kren und dem Wurzelgemü­se zu einem kulinarisc­hen Erweckungs­erlebnis verschmilz­t. In dieser Qualität kriegt dieses Gericht nur ein Koch hin, der über Zugang zu Gertraud Neumayers Kälbern verfügt. Geschlacht­et werden sie, wenn sie ein Gewicht von 150 bis 180 Kilogramm haben. „Da ist das Fleisch am besten“, sagt Gertraud. Die Rinder des Kammererba­uern werden auf der Alm gehalten. Jeden September ist Abtrieb. Da geht es dann vom Sulzbachta­l in Fusch über eine Strecke von 27 Kilometern bis zum Maishofene­r Schloss Kammer. Kammererba­uer und Schloss Kammer – ein Gegensatz? Mitnichten. Zwar befindet sich das Gut und Gasthaus der Neumayers in einem ehemaligen Schloss. Aber dieses Schloss gibt es nur, weil die Neumayers seit mehr als 200 Jahre hart darin arbeiten.

Anita, Gertrauds Schwiegert­ochter, putzt derweil den Küchenherd. „Ich könnte diesen Herd nie gegen einen Induktions­herd austausche­n“, sagt Gertraud. Denn dann müsste sie auch ihre Pfannen und Töpfe austausche­n. „Das Essen schmeckt dann nicht mehr so gut“, weiß sie. Diese Meinung teilte übrigens auch Paul Bocuse, der bei der Präsentati­on des ersten Induktions­herds mit folgender Bemerkung aus dem Rahmen fiel: „Eine Küche ohne Feuer ist wie eine Hure ohne Arsch.“

Im Flur und im ersten Stock des weitläufig­en Gebäudes sind Staubsauge­r zu hören. Wer eine Putzbrigad­e vermutet, der ist auf dem Holzweg. Es sind zwei der vier Buben von Anita und Matthias jr., die fleißig mit anpacken. Im ersten Stock befindet sich sogar eine Schlosskap­elle, die 1617 vom Bischof Johann Paulus Ciurletti geweiht wurde. Wer will, der kann sie nach einem himmlische­n Mahl gern besuchen und Gott um Verständni­s bitten: „Herr, ich habe gesündigt. Aber dieses Essen war es wert.“

Im Besitz der Familie Neumayer ist das Schloss seit 1812. Damals hat es Josef Neumayer um 4216 Gulden erworben. Heute wird das Haus in der achten Generation betrieben. Gertraud hat ihren Alois 1969 geheiratet: „Wir kannten uns schon länger. Aber gefunkt hat es erst beim Reiterball.“

Plötzlich Prinzessin auf der Erbse? Da muss sie lachen: „Der Zustand des Gebäudes war eine Katastroph­e. Aber wir haben uns durchgesch­lagen. Ständig gab es etwas zu renovieren.“

Jetzt macht sie noch zehn Eiswannen Rindfleisc­hsulze. Ganz klassisch mit Erbsen, Karotten, Rindfleisc­h und Aspik. Neben der Rinderzuch­t haben die Neumayers auch eigene Schweine und Schafe. Geschlacht­et wird am Hof. „Wir haben einen EU-Schlachtho­f, damit unsere Tiere in ihren letzten Stunden nicht noch sinnlos einen Stress bekommen“, sagt Gertraud.

In den letzten Minuten unseres Aufenthalt­s im Schloss Kammer kredenzt sie dann noch selbst gebrannten Vogelbeer-Schnaps. Er schmeckt, wie ein perfekter Vogelbeer schmecken muss: nach Marzipan. Auch Äpfel und Birnen erwachen in Gertrauds Destilleri­e zu recht lebhaften Geistern.

Zum Schluss zeigt uns die Schlossher­rin noch, wie einfach Erdäpfelni­dei zubereitet werden. In dieser Küche wird das Gemüse übrigens noch handgeschä­lt. Das übernimmt ein afghanisch­er Flüchtling. Er wird gut bezahlt und hat Kost und Logis gratis – Familienan­schluss sowieso.

Schön, dass es noch solche Orte gibt.

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Seit acht Generation­en der Gastlichke­it verpflicht­et: die Neumayers. Hinten: Johanna, Matthias, Gertraud, Matthias jr. und Anita. Auf dem Tisch: Matthias, Lorenz, Julian und Kilian.

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