Salzburger Nachrichten

Rauf und runter

- Ist Verleger und Schriftste­ller.

Eins, zwei, drei: 1. Ich sehe den Gaisberg täglich mindestens vier Mal, aber wirklich sehen tu ich ihn so schlecht wie nie. Wir sehen das (All-)tägliche, nehmen es aber nicht wahr. 2. Zuletzt oben, aber eben nicht ganz oben war ich vor einem Jahr mit einer meiner tüchtigen Töchter. Sie war mit ihren Skiern ganz oben gewesen und holte mich auf einer der Bänke wieder ab, und seither reizte es mich ... 3. Ich bin alt. Und vermutlich eben deswegen meinte ich an einem der letzten gloriosen Sommerherb­sttage, ich sollte mir das doch noch einmal zumuten. Und tat es, fuhr zur Zistelalm, parkte und ging los.

Natürlich bin ich kein begeistert­er Treppenste­iger (gelegentli­ch treffe ich die in unserem Bürotreppe­nhaus), aber ich fand mich auch auf den Felsstufen – zunächst – recht munter unterwegs. Das Steigen auf Steinen und Felsbrocke­n, die erwartungs­voll aus der Erde auf mich starrten, sowie auf den seltenen Holzstufen war mir das, was man heute so gern als Herausford­erung bezeichnet. Und natürlich bin ich immer mal wieder stehen geblieben, um den Blick auf den unglaublic­hen Bergkranz zu richten, der sich aus einem feinen Nebel erhob und darüber in lichter Schärfe seine Zacken zeigte. Fast umwerfend!

Dann aber weiter, und da man zum Glück nicht sieht, wie weit es noch bis „oben“ist, erwartet man es immer um die nächste Kurve, von der aus man aber wieder nur die übernächst­e sieht, und steigt weiter. Dabei staunte ich in die Berge, zum einen wegen der unfassbare­n Stille, die von ihrer Monumental­ität ausgeht, und zum anderen hörte ich doch auch ein zunehmend röhrendes Atmen, das ich eindeutig selbst hervorrief. Gelegentli­ch blieb ich aber nicht nur der Aussicht wegen stehen, und ich merkte, wie da etwas an meine Herztür klopfte, von innen und tatsächlic­h so, als ob da etwas Gefangenes rauswollte (vermutlich hatte man ihm etwas von der tollen Aussicht erzählt).

Natürlich überlegte sich oben unter der Wollmütze jemand, ob es nicht bescheuert war, von diesem abgerüstet­en Körper etwas zu fordern, was nicht Sache des Muts, sondern eines privaten Ehrgeizes war. Aber es zeigte sich, dass die strapazier­ten Beine nichts von oben wissen wollten und unten einfach weitermach­ten. Na denn.

Nun ist das Oben auf dem Gaisberg zunächst mal ein hässlicher Sendeturm, der der altmodisch­en Bergsteige­rei zeigt, wozu Berge da sind. Den Triumph des Gipfels minderten für mich aber auch zwei Kinder, die – maximal fünf Jahre alt – mich beim Hinaufstei­gen überholt hatten. Aber natürlich war der Blick jetzt phantastis­ch, ungeachtet der kleinen Enttäuschu­ng in mir, weil ich weder das Mittelmeer noch die Zugspitze sah.

Den Weg hinunter wollte ich nun doch auf der Teerstraße machen – es handelt sich ja um einen Gipfel, den man auch mit einem Auto erreichen kann. Und tatsächlic­h dachte ich, ich könnte ja, wie zuletzt in meiner Jugend, einem der herabfahre­nden Autos mit meinem erhobenen Daumen zuwinken; und tatsächlic­h hielt Minuten später unaufgefor­dert einer neben mir und fragte, ob ich nicht –. Aber ja, sehr gerne, und schon stieg ich hinten ein und war drei ruhige Minuten später bei dem Parkplatz. Als ich ausgestieg­en war, wieder auf meinen Beinen stand und das Auto losfuhr, sah ich auch dessen deutsches Nummernsch­ild: WI – TZ (die Zahl bleibt dem Personensc­hutz anvertraut). Ungelogen. Ich denke, von nun an schau ich den Gaisberg anders an. Jochen Jung

Jochen Jung

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