Europa will führen, stolpert aber beim (Be-)Steuern
Digitale Konzerne und Finanzgeschäfte zu besteuern ist nicht einfach. Erst recht, wenn es am politischen Willen dazu fehlt.
Im Jahr 2009, als die Welt den ersten Schock der globalen Finanzkrise gerade zu verdauen begann, aber immer noch alle konsterniert waren, wie so etwas passieren konnte, war man sich einig: Man müsse die Finanzmärkte bremsen, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt. Dieser Appell fiel den Politikern auch deshalb so leicht, weil sie damit von ihren eigenen Fehlern ablenken konnten.
In Europa führte die Debatte im Herbst 2011 zu einem Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Man glaubte, damit das richtige Mittel gefunden zu haben, um die Märkte zu zügeln. Es zeigte sich aber sehr bald, dass die Steuer mindestens so viele Gegner wie Befürworter hatte. Angesichts der Wucht der Finanzkrise und ihrer Folgen in der Realwirtschaft hatte man aber nicht den Mut, die Idee zu begraben, sondern hielt sie künstlich am Leben. Bis zu dieser Woche. Sieben Jahre nach der Ankündigung ist eine Finanztransaktionssteuer in Europa tot.
Dass aus den hochfliegenden Plänen nichts wurde, ist keine Überraschung. Erstens ist die EU in Steuerangelegenheiten auf das Wohlwollen der Nationalstaaten angewiesen, die sich diese Kompetenz nicht haben nehmen lassen. Es gab daher viel Widerstand von Ländern, in denen der jeweilige nationale Finanzmarkt einen erheblichen Teil zur Wirtschaftsleistung beiträgt. Eine sachliche Debatte des Für und Wider einer Steuer auf Finanztransaktionen blieb dabei auf der Strecke.
Dazu kam, dass mit der umstrittenen Steuer aufseiten der Befürworter stets überzogene Hoffnun- gen verbunden waren. Einerseits wollte man Sand ins Getriebe der Finanzmärkte streuen, andererseits erwartete man hohe Einnahmen, die zur Korrektur der Ungleichheit dienen sollten. Aber hätte die Steuer ihren Lenkungseffekt erzielt und unerwünschte Spekulation eingedämmt, wäre das Aufkommen hinter den Erwartungen zurückgeblieben. So weit, dass man sich den Kopf über die Verwendung der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer zerbrechen musste, kam es freilich nie. Und man wird es wohl nicht so bald tun müssen.
Ein ähnliches Schicksal scheint der jüngsten steuerpolitischen Idee der EU beschieden zu sein – der Digitalsteuer. Auch hier stößt der politische Wille, dass der Fiskus seinen Anteil am Gewinn erhält, rasch an die Grenzen jener Länder, wo die Europaholdings der Konzerne sitzen. Dort gibt es wenig Interesse, sie zu vertreiben, man lockt im Gegenteil mit Steuerprivilegien. Länder wie Irland oder Luxemburg haben das zum Geschäftsmodell gemacht.
Neben dem nationalen Egoismus tut sich beim Besteuern von Digitalkonzernen wie Amazon, Facebook oder Google aber ein grundsätzliches Problem auf. Die Frage, wo die Wertschöpfung geschieht und der Gewinn zurechenbar ist, ist nicht leicht zu beantworten. Die Befürworter einer Digitalsteuer visieren einerseits die Werbung an, die auf diesen global agierenden Plattformen läuft und lokalen Anbietern das Wasser abgräbt. Mindestens so wichtig ist die Ertragskraft, die in der Nutzung der Daten steckt, die die Internetriesen sammeln und die Kunden bereitwillig hergeben. Aber wo setzt man an, wenn Unternehmen von der Möglichkeit Gebrauch machen, Gewinne in Länder zu verlagern, die kaum darauf zugreifen?
Die Digitalsteuer zieht dafür den Umsatz heran und stellt damit das System der Unternehmensbesteuerung auf den Kopf, das am Gewinn anknüpft, weil der Umsatz noch nichts über die Profitabilität aussagt. Mit der Umsatzbesteuerung bittet man Konsumenten zur Kasse, ändert aber nichts am Problem der Gewinnverlagerung. Die kann man nur international unterbinden, dazu bedarf es des Willens der Politik. Solange der fehlt, können globale Konzerne mit nationalen Steuerbehörden Katz und Maus spielen.
Die Digitalisierung hat Konzerne groß gemacht, deren geschäftlicher Erfolg bestehende Steuersysteme an ihre Grenzen bringt. Ein Umbau ist möglich, aber von den USA, wo die Internetkonzerne sitzen, ist Hilfe nicht zu erwarten, weil sie ihre Gewinne dort sehr wohl versteuern.
In der Steuerpolitik wirkt die EU wie eine lahme Ente. Soll man deshalb kapitulieren? Nein. Aber bis man sich auf internationale Regeln zum Vermeiden der Gewinnverlagerung einigen kann, ist statt der auf Eis gelegten Digitalsteuer das Wettbewerbsrecht womöglich der bessere Hebel, um Internetkonzernen zu Leibe zu rücken. Das ist übrigens ein Gebiet, auf dem sich die EU als sehr effektiv erwiesen hat.
Digitalisierung fordert Steuersysteme heraus