Nur eine versteht die Sprache der Hunde
KARL HARB
Der musikalische Jahresregent 2019 heißt Jacques Offenbach. Vor 200 Jahren in Köln geboren, feierte der „kleine Mozart der Champs-Elysées“– so nannte ihn sein Kollege Rossini – in Paris Publikumserfolge en masse in seinen eigenen Bouffes-Parisiens, wurde zur musikalischen Unterhaltungsmaschine des Zweiten Kaiserreichs und zum beißenden Satiriker der herrschenden politischen Verhältnisse. Überlebt hat Offenbach in seinen Meisterwerken, die mehr sind als Operetten: „Pariser Leben“, „La Belle Hélène“, „La Grande-Duchesse de Gerolstein“, „Orphée aux Enfers“– der 2019 sogar zu Salzburger Festspielehren kommen wird. Und natürlich mit seiner unvollendet hinterlassenen Oper „Les Contes d’ Hoffmann“.
Angefeindet und geliebt war vieles in den Hundertschaften seiner Werke sprudelndes Tagesgeschäft. Desto schwerer ist es für die Nachwelt, ein scharf gezeichnetes Offenbach-Bild zu erhalten. Im Verlag Boosey & Hawkes ist der Sänger, Dirigent und Musikwissenschafter Jean-Christophe Keck am Werk, eine gültige Edition zu erstellen. Sein neuester Coup, Offenbachs Entrée in die ehrwürdige Salle Favart, die Opéra Comique, erblickte jetzt in Straßburg das Bühnenlicht der Welt nach 160 Jahren im Dornröschenschlaf: „Barkouf ou un chien au pouvoir“, ein Hund an der Macht, als Vizekönig eines (der Zensur geschuldeten) Fantasielandes.
Entdeckt wurde die gesamte dreiaktige Opéra-bouffe aus 1860, von der nur einzelne Nummern ediert waren, in einem Konvolut von 20.000 Manuskriptseiten in einem Haus nahe Paris, das Erben der Familie Offenbach gehörte. Geschätzte 650 Stücke, darunter 130 für die Bühne, darunter wiederum das verschollen geglaubte Autograf des ersten und zweiten Akts von „Hoffmanns Erzählungen“sind in dieser gewaltigen Schatztruhe enthalten. Kleines und Großes, Petitessen und prunkvolle Ausstattungsstücke harren da der Entdeckung.
Jetzt also einmal „Barkouf“. In Lahore verschwinden die Vizekönige durch ominöse Fensterstürze, bis der Großmogul ein Machtwort spricht: Herrscher solle ein Hund werden. Die mit dem Tod bedrohten Subalternen akzeptieren den abenteuerlichen Vorschlag, und der Großwesir Bababeck sucht auch gleich, Vorteile für sich und seine Tochter daraus zu ziehen. Nur eine, nämlich die Floristin Maima, versteht die Hundesprache und kann sie übersetzen – freilich dann zu ihrem und ihrer Freunde Vorteil.
Barkouf erscheint natürlich nie auf der Bühne, wird nur in den Reaktionen der handelnden Personen (und einem ersten Pauken- und Fagotte-Knurren im Orchester) erlebbar. Dafür sieht man in der Straßburger „Uraufführung“zunächst eine kleine, im Schlussakt eine übergroße Hundehütte. Bühnenbildnerin Julia Hansen hat sie in ein raumhohes Aktenarchiv gebaut, das von einem Jacques-Tati-artigen Faktotum bewacht wird. Hier lagern wohl alle „politischen“Fälle des Regimes – oder ist es nicht doch das Offenbach’sche Notenarchiv?
Denn wie stets bei diesem Meister des absurden Witzes und der klingenden Camouflage ist nicht nur die abstruse Handlung aus der Textmanufaktur von Eugène Scribe, sondern auch das musikalische Gewand bunt gescheckt. Die sich oft um sich selbst drehenden Couplets, liebreizenden Arietten, von glitzernden Koloraturketten umgebenen Bravournummern, Chöre und Ensembles (Höhepunkt: das heillos vertrackte Nonett der Verschwörer) sind wie auf einer Perlenschnur aufgereiht.
Mit Wortwitz (wenn der Großmogul als „Stern der Sterne“gepriesen wird, als „astres des astres“, da also das „Desaster“drinsteckt) wird ebenso gespielt wie mit musikalisch falsch betontem Text, was Nonsense-Effekt ergibt. Das hört man in Straßburg alles mit Vergnügen, aber je länger je mehr auch mit Beschwer. Was womöglich auch am etwas schwergängigen, bei allen feinen Details Pfiff vermissen lassenden Sound des Orchesters von Mulhouse unter Jacques Lacombes nicht gerade federnder Stabführung liegen mag. Da müsste einer vom Kaliber Marc Minkowskis Funken schlagen …
Gesungen und gespielt wird unter der aufgeweckten szenischen Leitung der Regisseurin Mariame Clément – die auch die Dialogtexte gewinnend neu verfasst hat – authentisch komisch von einem geschlossenen, kultiviert agierenden Ensemble.
In besonderer Erinnerung bleibt herzallerliebst koloraturkokett Pauline Texier als Hundeversteherin Maima.
Ob „Barkouf“die zuletzt schon erprobten anderen Offenbach-Entdeckungen, „Le Roi Carotte“(das herrliche gemüsige Gegenstück zum Tierkönig) oder „Fantasio“, überflügeln oder nur ergänzen wird? Das Offenbach-Jahr jedenfalls hat vielversprechend begonnen. Oper: