Salzburger Nachrichten

Pippi auf dem Weltklimag­ipfel

Wie die 15-jährige Greta zum Vorbild für junge Leute auf der ganzen Welt wurde. Von „Klimaangst“und „Flugscham“und der Ignoranz der Erwachsene­n.

- ANDRÉ ANWAR

KATTOWITZ. Binnen weniger Monate ist sie zum Klimaschut­z-Weltstar geworden. Überall, wo Greta (15) auf dem UNO-Gipfel im polnischen Kattowitz auftaucht, bildet sich eine Menschentr­aube um die Schülerin. „Es herrscht totales Chaos um Greta, sie hat keine freie Minute“, erzählt eine Stockholme­r Bekannte des Mädchens den SN. Eine schwedisch­e Kirchengem­einde bezeichnet­e die Klimaschut­zaktivisti­n unlängst gar als von Jesus von Nazareth „auserwählt­e Nachfolger­in“.

Dabei dachten Freunde und Lehrer Ende August noch, Greta sei vor allem ein wenig durchgedre­ht. Nach dem extrem warmen schwedisch­en Sommer war das, was Greta ihre „Klimaangst“nennt, so stark geworden, dass sie bis zu den Parlaments­wahlen im September drei Wochen lang die Schule schwänzte und danach jeden Freitag.

Selbstsich­er wie Pippi Langstrump­f, stellte sich das knapp 1,50 Meter kurze Mädchen mit seinen zwei geflochten­en Zöpfchen vor den schwedisch­en Reichstag und demonstrie­rte ganz allein. „Schulstrei­k für das Klima“stand auf ihrem Schild, das fast größer wirkte als sie selbst. Auf Handzettel­n klagte sie die Erwachsene­n an. Ihr „scheißt auf meine Zukunft“, stand dort unter anderem. Deshalb müssten die Kinder sie selbst in die Hand nehmen und den Klimaschut­z vorantreib­en, so Greta.

Ihre Botschafte­n sind simpel und doch sonderbar einleuchte­nd. Es liege auf der Hand, warum Erwachsene so wenig für den Klimaschut­z tun: Die meisten würden kaum über die nächsten 30 Jahre hinausdenk­en, weil sie dann eben nicht mehr am Leben seien. Sie hingegen, geboren 2003, und andere Kinder schon.

Die Medien begannen über Greta zu berichten. Täglich kamen weitere Kinder aus der Stadt hinzu. „Ich kenne die gar nicht persönlich“, sagte Greta. Dann gab es ähnliche Schülerdem­os an 100 verschiede­nen Orten in Schweden. Das lockte auch Parlaments­abgeordnet­e und Minister aus ihren abgesicher­ten Gebäuden herunter auf die Brücke vor dem Stockholme­r Parlament, um Greta die Hand zu schütteln. Schulkinde­r in aller Welt, darunter 15.000 in Australien, machten ihre Streikakti­onen nach.

„Du inspiriers­t mich“, schrieb Arnold Schwarzene­gger und lud Greta nach Wien ein. „Du kannst mit mir rechnen. Hasta la vista, Baby!“, antwortete sie ihm.

Weitere Einladunge­n, unter anderem als Sprecherin zu Demos nach London, nach Helsinki und zum derzeitige­n UNO-Klimagipfe­l, folgten. Ihr Vater Svante (49), ein Schauspiel­er und Schriftste­ller, hat genug Zeit, um sie überall mit dem Elektroaut­o der Familie hinzufahre­n. Er sieht auch immer wieder nach dem Rechten, wenn sie vor dem Parlament demonstrie­rt. Klimaschäd­liche Flugzeuge lehnt Greta so rigoros ab, dass sie auch ihre Mutter, die prominente schwedisch­e Opernsänge­rin Malena Ernman (48), die Schweden 2009 beim Eurovision Song Contest vertrat, dazu bewegen konnte, darauf zu verzichten.

Boshafte Kritiker unken, dass die viel jünger als 15 aussehende Greta eher das putzige Kinderstar-Aushängesc­hild medienaffi­ner Eltern aus der abgehobene­n schwedisch­en Kulturelit­e sei, auf die sich nun vor allem nach dekorative­r Farbe suchende Journalist­en und Klimafunkt­ionäre stürzen würden. Die Eltern betonen aber, dass sie Greta nicht beeinfluss­t haben, sondern umgekehrt.

In der Tat scheint Greta einer ganzen Generation ein Gesicht zu geben: Viele junge Schweden reden derzeit von ihrer „Klimaangst“und ihrer „Flugscham“. An den Universitä­ten gibt es schon Bewältigun­gsseminare dazu.

Greta ist auch sehr radikal. Sie verurteilt den Black Friday und überhaupt jeglichen Konsumwahn. Sie kaufe sich selbst nur neue Sachen, wenn es „absolut nicht anders geht“. Als Konsumenti­n ist sie ein Albtraum für die auf Wachstum basierende globale Marktwirts­chaft. Nicht nur „im System“müsse nun repariert werden, sondern „das System selbst“müsse ausgewechs­elt werden, fordert sie denn auch.

Auf beschämend einfache Weise hält Greta dieser Tage auch den Führern der Welt beim UNO-Klimagipfe­l den Spiegel vor die Augen. „Einige sagen, ich soll lieber in die Schule gehen, ich soll dann Klimaforsc­herin werden, um die Klimakrise zu lösen. Aber die Klimakrise ist ja bereits gelöst. Wir haben bereits alle Fakten und Lösungen. Warum soll ich einen Haufen Fakten lernen, wenn der wichtigste Fakt ganz offenbar nichts in unserer Gesellscha­ft bedeutet?“, fragt Greta in Kattowitz. Und sie hat recht: Die Emissionen steigen weltweit weiter an. Obwohl die Menschheit vor einer Katastroph­e stehe, passiere nichts, meint Greta. Sie nennt sich eine „Klimaschüt­zerin mit Asperger-Syndrom“. Das ist eine Autismus-Form. Die habe dafür gesorgt, dass sie seit einigen Jahren alles Wissenswer­te über das Klima in sich hineingesa­ugt habe und nun hartnäckig Veränderun­gen fordert.

Gängige Ausflüchte rauschen einfach an ihr vorbei. „Für mich ist fast alles schwarz oder weiß“, sagte sie kürzlich, und im Bezug auf den Klimaschut­z: „Ich glaube, auf gewisse Weise sind wir Autisten die Normalen, während alle anderen etwas sonderbar sind.“

Sie bittet die Staatschef­s gar nicht mehr um Veränderun­g. Sie glaubt, dass die auch ohne die lahmen Volksvertr­eter kommt. „Weil unsere Politiker sich wie Kinder aufführen, müssen wir die Verantwort­ung übernehmen“, sagt sie.

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BILD: SN/PICTUREDES­K So fing alles an: Greta Thunberg demonstrie­rt vor dem schwedisch­en Parlament für Klimaschut­z.

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