Die Grundlage für das große Geschäft: Kochen und klein machen
Junges Gemüse war einmal. Jetzt ist Baby-Gemüse an der Reihe. Das ist genial: Weil jede Menge Energie verprasst wird, um die Ernte möglichst klein zu halten.
Früher musste man nicht allzu viel über Kartoffeln wissen. Wer festkochend und mehlig unterscheiden konnte, der hatte schon fast gewonnen. Dann blieb noch Zeit für ein paar Sprichwörter. So in der Art: „Die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln.“Was im Umkehrschluss bedeuten musste, dass kluge Bauern nur kleine Kartoffeln im Sack haben.
Über Preis und Größenverhältnisse beim Essen referierte ja schon Paul Bocuse einst recht treffend, als er gefragt wurde, wie er die ihm zugeschriebene Nouvelle Cuisine beschreiben würde. Er antwortete: „Nouvelle Cuisine ist wenig auf dem Teller und viel auf der Rechnung.“Das ist ein origineller Spruch, der uns zum neuesten Trend der Haubengastronomie führt. Die Teufelsküche nennt ihn liebevoll Baby-Boom. Der Name leitet sich von dem Gemüse ab, das derzeit von Gourmet-Lieferanten hochglänzend angeboten wird: Da werden seitenweise Babys angeboten: Baby-Melanzani, Baby-Lauch, Baby-Spinat, Baby-Rote-Bete – denken Sie sich ein Gemüse aus und fügen Sie ein Baby hinzu: Sie werden dieses Produkt finden. Wie? Ja. Natürlich auch Baby-Kartoffeln um 1,59 Euro pro Kilogramm. Der Preis der Baby-Karotten wird mit 8,99 Euro pro Packung dagegen recht kryptisch angeschrieben. Und wenn Sie uns jetzt zu Recht fragen, was das soll – dann können wir Ihnen leider nur antworten: keine Ahnung. Der Großhändler gibt im Prospekt folgende Erklärung: Minigemüse kann alles, was seine großen Schwestern und Brüder auch können. Nur dass es sich am Teller klein macht und dadurch mit mehr kreativen und optischen Möglichkeiten punktet.
Kochen und klein machen. Jawohl! Das ist heute die Grundlage für das große Geschäft. Für die Nachhaltigkeit sind diese Züchtungen freilich ein Desaster. Da wird jede Menge Energie, Erde und Wasser dafür verschwendet, damit der Mensch auf dem Gemüsefeld weniger Ertrag und mehr Zuckergehalt erzielt. Im Gegenzug züchten Bauern heute auch gern Monsterkürbisse mit einem Gewicht von bis zu 600 Kilogramm. Wir wollen an dieser Stelle jetzt aus Rücksichtnahme auf die Züchter das eingangs erwähnte Kartoffelgleichnis nicht anwenden. Diese Kürbisse können nicht einmal mehr richtig verfaulen, weshalb sie schlussendlich auf dem Müll landen. Verschrumpeltes und unförmiges Gemüse wird dagegen sofort nach der Ernte weggeworfen.
Doch es gibt schon einige Supermärkte, in denen verschrumpeltes Gemüse zu besonders billigen Preisen angeboten wird. Ein Kilogramm Karotten kostet dort ungefähr so viel wie drei Baby-Karotten andernorts. Wenn man sich anschaut, wie sich Moden entwickeln, dann kann es nicht mehr weit sein – bis zum jüngsten Gericht.