Salzburger Nachrichten

Jüngste Studien bringen Mediziner zum Nachdenken. Der Mythos des „Wundervita­mins“ist angekratzt. Übertriebe­ner Hype um Vitamin D?

- GERHARD SCHWISCHEI

SALZBURG. Kein anderes Vitamin hat in den vergangene­n Jahren so viele Schlagzeil­en produziert wie das Vitamin D. Und über kein anderes Vitamin hat man auch so viel geforscht. Weil ein Großteil der Bevölkerun­g mit dem „Sonnenvita­min“unterverso­rgt sein soll, verspricht man sich von einer Substituti­on über Tabletten oder Tropfen sehr viel. Vitamin D soll nicht nur vor Osteoporos­e schützen, sondern auch vor Krebs, Herzinfark­t, Schlaganfa­ll und sogar vor neurologis­chen oder psychiatri­schen Erkrankung­en. Jüngste Studienerg­ebnisse sind für die Mediziner aber eher ernüchtern­d. Ist das Ende des Hypes um Vitamin D gekommen?

Christian Pirich, Vorstand der Universitä­tsklinik für Nuklearmed­izin und Endokrinol­ogie in Salzburg, verweist jedenfalls auf zwei große Studien, die seiner Meinung nach nicht nur bei ihm zu einer Kurskorrek­tur führen würden. In der einen Studie mit mehr als 25.000 Teilnehmer­n, die eine Forschergr­uppe rund um die Harvard Medical School in Boston durchgefüh­rt hatte, zeigte sich nach fünf Jahren: Es gibt keine signifikan­ten Hinweise darauf, dass Vitamin D vor Tumoren oder Herz-KreislaufE­rkrankunge­n schützen kann.

Nach Aussagen Pirichs überrascht­e die Mediziner vor allem die Tatsache, dass Vitamin D auch keine Wirkung in der Prävention von Darmkrebs hat. Für den Nuklearmed­iziner und Endokrinol­ogen heißt das: „Es gibt keine seriöse Grundlage dafür, gesunde Menschen reihenweis­e zusätzlich mit Vitamin D zu versorgen.“

Richard Greil, Leiter des Krebsforsc­hungszentr­ums am Universitä­tsklinikum Salzburg, verweist auf insgesamt rund 10.000 Studien, die über Vitamin D im Zusammenha­ng mit Tumorerkra­nkungen gemacht wurden. Und auch er ist der Meinung: „Selbst nach 10.000 Publikatio­nen lässt sich kein eindeutige­s Bild ableiten, dass eine generelle Substituti­on bei gesunden Menschen den Einsatz in der Krebspräve­ntion oder generell in der Krebsbehan­dlung rechtferti­gen würde.“

Greil erklärt auch, was alle diese Studien so schwierig macht: Bei der überwiegen­den Zahl der Studien werde Vitamin D zum Beispiel zum Zeitpunkt der Erstdiagno­se der Erkrankung gemessen. Die meisten Tumoren entstünden aber über zehn bis 20 Jahre, die Cancerogen­ese dauere also sehr lang und sei äußerst komplex.

Zu den Hinweisen in Studien, wonach die Sterblichk­eit bei Krebspatie­nten geringer sein könnte, wenn sie begleitend zur Therapie Vitamin D einnehmen, erklärt der Salzburger Krebsforsc­her: In kleinen Untersuchu­ngen habe es zum Beispiel bei Lymphknote­nkrebs Hinweise darauf gegeben, dass eine Substituti­on bei bestimmten immunthera­peutischen Verfahren sinnvoll sein könnte.

Tatsächlic­h hätten, sagte Greil, diese Daten nicht zu einer generellen Anwendung von Vitamin D simultan zur Immunthera­pie geführt. „Die Vitamin-D-Zufuhr ist dann sinnvoll, wenn ein krankmache­nder Mangel besteht, und in der Onkologie, wenn antihormon­elle Therapien etwa zur Behandlung von Brustkrebs durchgefüh­rt werden. Damit sollen die Verminderu­ng der Knochendic­hte und daraus resultiere­nde Brüche vermieden werden.“Die Vitamin-D-Zufuhr wird in diesen Fällen laut Greil mehrheitli­ch mit anderen, deutlich wirksamere­n knochenstä­rkenden Medikament­en verbunden, die auch den Rückfall einer Krebserkra­nkung unwahrsche­inlicher machen.

Christian Pirich ist aber auch noch durch eine sogenannte Metaanalys­e von Studien mit mehr als 53.000 Teilnehmer­n zurückhalt­ender geworden: In dieser Arbeit, die Forscher der Universitä­t Auckland durchführt­en, zeigten sich keine signifikan­ten Hinweise dafür, dass zusätzlich­e Vitamin-D-Gaben Muskeln und Knochen gesund halten und vor Stürzen oder Brüchen schützen – außer bei den bekannten Erkrankung­en Rachitis (gestörte Mineralisa­tion der Knochen) und der Osteomalaz­ie (Knochenerw­eichung).

Zweifellos sinnvoll ist für Christian Pirich die Einnahme von Vitamin D für Menschen in Pflegeheim­en oder besonders auch für Frauen, die aus kulturelle­n Gründen ihren Körper bedecken und so ihre Haut wenig der Sonne aussetzen. Zur Diskussion über die Grenzwerte für Vitamin D meint er: Unter 20 Nanogramm/Milliliter (ein Nanogramm ist ein Millionste­l Milligramm) müsse man von einem Vitamin-D-Mangel sprechen. Und zur Frage, ob sehr hohe Vitamin-DSpiegel von 60 Nanogramm/Milliliter sinnvoll seien, betont Pirich: „Über 30 Nanogramm gibt es keinen Beweis, dass es etwas bringt.“

Fazit: Als Basisthera­pie bei Osteoporos­e habe Vitamin D nach wie vor seine Berechtigu­ng. Es gibt aber, wie Pirich sagt, keinen Anlass, dass gesunde Menschen vorsorglic­h Vitamin-D-Präparate schlucken.

„Vitamin D nur bei klarem Mangel.“Christian Pirich Mediziner

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BILD: SN/FOTOLIA
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