Salzburger Nachrichten

Macrons Reformziel ist jetzt in großer Gefahr

Präsident Emmanuel Macron ist zur Zielscheib­e eines Zorns geworden, der sich jahrzehnte­lang aufgestaut hat.

- Helmut L. Müller

Diesen Auftritt vor der französisc­hen Nation könnten die Kommunikat­ionsberate­r von Emmanuel Macron inszeniert haben. Der Präsident, der bisher wie ein Monarch regiert und wie ein Manager geredet hat, zeigt jetzt Empathie für die Normalbürg­er. Der Präsident, der sich angesichts der neuen Protestwel­le wochenlang in Schweigen gehüllt hat, spricht jetzt von einer großen und gerechtfer­tigten Wut im Land.

Es ist eine Umkehr, in der Rhetorik und politisch. Aber ungewiss ist, ob sie genügt, um die aufgeheizt­en Gemüter zu beruhigen. Macron will offenbar einen Balanceakt schaffen: Seine Zugeständn­isse sollen den ärgsten Ärger der „Gelbwesten“dämpfen und einen größeren Teil der Öffentlich­keit wieder auf seine Seite ziehen. Der Präsident macht Abstriche von seinem politische­n Programm, aber er hält an seinem Reformziel fest, Frankreich für den Wettbewerb auf einem globalisie­rten Markt neu aufzustell­en.

Typisch ist dafür dieses Detail: Macrons Maßnahmen sollen die Kaufkraft der unteren Mittelschi­cht steigern, die seit langer Zeit unter hohen Steuern und Sozialabga­ben ächzt. Doch für den künftig höheren Mindestloh­n soll der Staat mit einem Zuschuss aufkommen. Er will die Wirtschaft­streibende­n schonen und macht darum neue Schulden.

Mit dieser sozialpoli­tischen Wende ist nur ein Teil der heterogene­n Protestbew­egung zufrieden. Ein anderer Teil will mehr und fordert insbesonde­re, dass der Präsident die Abschaffun­g der Reichenste­uer – das Symbolthem­a schlechthi­n – revidiert. Zu vage erscheint diesen Demonstran­ten das vom Präsidente­n skizzierte Szenario, dass auch die Wohlhabend­en zum sozialen Frieden beitragen müssten.

Frankreich­s EU-Partner hoffen, dass es Macron gelingt, das blockierte Land in Bewegung zu bringen. Doch die Gefahr ist gewachsen, dass auch dieser Präsident wie viele seiner Vorgänger vor dem Unmut auf der Straße zurückweic­hen muss. Macron ist weiterhin entschloss­en, seine großen Reformvorh­aben wie den Umbau des Sozialsyst­ems oder die Reduzierun­g des Staatsappa­rats umzusetzen. Aber seine politische Konkurrenz, von ganz links bis ganz rechts, lauert darauf, dass der Protest noch wochenlang weitergeht.

Macrons Gefolgsleu­te haben zwar eine große Mehrheit im Parlament. Aber mit ihrem Profil (wohlhabend und überaus gebildet) sind sie kein Abbild der Gesamtbevö­lkerung. Fast zu befürchten ist deshalb, dass der Aufstand der Deklassier­ten gegen die Privilegie­rten, der Provinz gegen Paris nicht so schnell zu Ende sein wird.

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