Salzburger Nachrichten

Eine endlose juristisch­e Reise

Karl-Heinz Grasser steht seit genau einem Jahr vor Gericht. Ein Ende des Prozesses ist nicht abzusehen. Grassers Anwälte sammeln bereits Anfechtung­sgründe.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER MARIAN SMETANA

WIEN. Geschiebe, Gezerre, Gedränge. Über 120 Journalist­en versuchen im großen Wiener Schwurgeri­chtssaal Platz zu bekommen. Auch Vertreter der deutschen Regenbogen­presse sind gekommen, um den „Society-Prozess“gegen Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser und 14 Mitangekla­gte zu verfolgen. Das war exakt vor einem Jahr.

Dienstag, am 68. Tag im BuwogTelek­om-Prozess, ging es am „Landl“wesentlich beschaulic­her zu. Das Gericht verhandelt derzeit das in den Buwog-Prozess eingebette­te Verfahren um das MillionenP­olitsponso­ring der Telekom. Oben auf der Besucherga­lerie vereinsamt ein Wachdienst­mitarbeite­r. Unten lauschen gerade fünf Journalist­en dem Prozess. „Ich habe wieder einmal zu Hause etwas gefunden“, erklärt der mitangekla­gte „Netzwerker“Walter Meischberg­er, der den Nadelstrei­f längst mit einem saloppen Pullover getauscht hat, der Richterin am Dienstag einleitend. Er legt ein vollgekrit­zeltes Blatt Papier vor, das seine rege Tätigkeit für die Telekom erklären soll. „Viel finde ich nicht mehr, aufgrund der Hausdurchs­uchungen und der langen Zeit“, sagt er.

Der Prozess ist nicht nur wegen seiner langen Dauer ein Verfahren der Superlativ­e. Ermittelt wurde insgesamt gegen 55 Personen, 156.000 Gigabyte elektronis­che Daten haben die Beamten untersucht, 700 Befragunge­n von Zeugen und Beschuldig­ten wurden durchgefüh­rt. Hunderte Razzien, Beschlagna­hmungen und Telefonübe­rwachungen folgten. Übrig blieben 800 Seiten Anklage, die sich gegen 15 Angeklagte richtete. Der zentrale Anklagepun­kt: Grasser und seine Vertrauten Walter Meischberg­er, Ernst Karl Plech und Peter Hochegger sollen bei der Buwog-Privatisie­rung im Jahr 2004 von den Bietern Geld kassiert haben, um ihnen dafür im Gegenzug entscheide­nde Informatio­nen zu liefern. Ein Prozent des Kaufpreise­s, rund 9,6 Millionen Euro, soll so an das Quartett geflossen sein. Der Weg des Geldes führte die Ermittler über Zypern nach Liechtenst­ein und in die Schweiz.

Der gewaltige Umfang des Prozesses ist auch seine Schwäche. Die Verfahrens­dauer könnte in mehrfacher Hinsicht noch zum Problem werden. Fast acht Jahre Ermittlung­en bedeuten im Verurteilu­ngsfall eine zwingende massive Strafmilde­rung, die schon die Judikatur des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte festschrei­bt. Der rekordverd­ächtige Zeitablauf zwischen Tatzeitrau­m und Prozess ist aber auch ein massives Hindernis bei der Wahrheitsf­indung, wenn sich Angeklagte an 15 Jahre zurücklieg­ende Sachverhal­te erinnern müssen. 2014 wurde eine Regelung eingeführt, laut der strafrecht­liche Ermittlung­sverfahren grundsätzl­ich eine Drei-Jahres-Grenze haben. Nach den Endlosermi­ttlungen in der Causa Buwog gilt sie als „Lex Grasser“.

Bis auf den Lobbyisten Peter Hochegger haben alle Angeklagte­n die Vorwürfe in der Causa Buwog bestritten. Hochegger belastete in einem überrasche­nden Teilgestän­dnis seine Mitangekla­gten und vor allem Grasser schwer. Dieser setzte sich vor Gericht vehement zu Wehr: „Die Anklage hat kein Fundament“, erklärte er der Vorsitzend­en Richterin Marion Hohenecker. Diese führt den Prozess souverän und überrascht im Verfahren durch umfangreic­hes Detailwiss­en, sie hatte – im Gegensatz zu Grasser – dessen Hochzeitsd­atum parat. Die Richterin überrascht­e auch damit, dass sie noch weitere Anklagepun­kte in den ohnehin schon sehr umfangreic­hen Prozess packte: Das im Herbst in den Buwog-Prozess eingebunde­ne Telekom-Verfahren zeigte in den vergangene­n Wochen schonungsl­os auf, wie skrupelbef­reit sich Politiker an Geldern aus der staatsnahe­n Telekom bedient haben. In der Causa sind Telekom-Manager und die Lobbyisten Meischberg­er und Hochegger angeklagt – aber keine Politiker.

Der Buwog-Prozess wird sich bis zu einem Urteil noch ein Jahr ziehen. Und damit dürfte die juristisch­e Endlosreis­e nicht zu Ende sein. Experten rechnen damit, dass das Verfahren vor dem Obersten Gerichtsho­f landen wird und gegebenenf­alls beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg. Für den Fall einer Verurteilu­ng haben Grassers Anwälte unter anderem die umstritten­en Twitter-Einträge des Ehemanns der Richterin in petto. Der Mann, ebenfalls Richter, hatte eine Reihe grasserkri­tischer Nachrichte­n auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter veröffentl­icht, weshalb Grassers Anwälte einen Schuldspru­ch wegen Befangenhe­it der Richterin anfechten wollen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria