Theresa May übersteht das Misstrauensvotum
Mit 200:117 Stimmen stellten sich die britischen Konservativen hinter ihre Parteichefin. Aber wie will die Premierministerin ihr Brexit-Abkommen durchs Parlament bringen?
LONDON, BRÜSSEL. Die britische Premierministerin Theresa May hat die Misstrauensabstimmung um ihr Amt als konservative Parteichefin gewonnen. May erhielt die Stimmen von 200 der 317 konservativen Abgeordneten im Unterhaus.
Sie kann damit als Parteichefin und Premierministerin weitermachen. Für May ist das dennoch kaum ein Grund zum Feiern. Sie steht weiterhin vor der Aufgabe, ihren BrexitDeal durchs Parlament zu bringen, und muss nun damit rechnen, dass 117 Abgeordnete ihrer eigenen Partei dabei nicht mitspielen werden. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament ist das ein desaströses Ergebnis. Wie ihr BrexitAbkommen eine Mehrheit bekommen soll, ist trotz überstandenen Putsches völlig unklar.
Heute, Donnerstag, beschäftigt sich der EU-Gipfel in Brüssel noch einmal mit den britischen Austrittsplänen. Das Treffen soll dazu beitragen, dass der fertige EU-Austrittsvertrag eine Mehrheit im britischen Parlament findet. „Unser gemeinsames Ziel ist es, ein No-Deal-Szenario zu verhindern“, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwochabend. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte, man arbeite hart, um einen ungeregelten Brexit ohne Vertrag zu vermeiden. EU-Ratschef Donald Tusk stellte hingegen klar, dass man sich nun verstärkt für ein solches Szenario wappnen müsse.
LONDON. Theresa May bleibt Premierministerin Großbritanniens. Die Konservative hat gestern Abend das Misstrauensvotum mit einer Mehrheit von 83 Stimmen gewonnen – oder vielmehr überstanden? Auch wenn ihr 200 konservative Parlamentarier das Vertrauen aussprachen, von einem Triumph wollte gestern nach einem abermals dramatischen Tag niemand reden. Zu groß ist die politische Krise, die auf der Insel herrscht.
Die Brextremisten in der konservativen Partei wollten ihre Vorsitzende mit der Misstrauensabstimmung stürzen, weil sie den zwischen London und Brüssel vereinbarten Brexit-Deal strikt ablehnen. Insbesondere der Backstop, eine Garantie für eine offene Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, hat sich mittlerweile zur Glaubensfrage auf der Insel entwickelt. Glühende Brexit-Anhänger fürchten, dass Großbritannien durch die im Austrittsvertrag vorgesehene Notfalllösung auf Dauer an die Gemeinschaft gekettet bleibe. „Die Tories im Bürgerkrieg“, nannten Kommentatoren den Streit bei den Konservativen, die sich gerade auf offener Bühne selbst zerfleischen. Und damit auch das Land „in Geiselhaft“nehmen.
Im Parlament grölten sich gestern die May-Loyalisten ihre Kehlen heiser, um ihre Unterstützung auszudrücken. Zudem tingelten Minister durch die Fernsehstudios und warben für ihre Chefin. Würde das ausreichen, um Unentschlossene zu überzeugen? May wollte kein Risiko eingehen und wandte sich kurz vor dem Start des Votums am Abend persönlich an die Abgeordneten. Ungewohnt emotional versicherte die bedrängte Regierungschefin den Zweiflern, die Partei nicht in die nächste Wahl führen zu wollen. Diese steht 2022 an. Bis heute haben es die Tories ihrer Vorsitzenden nicht verziehen, dass sie nach einem miserablen Wahlkampf 2017 die absolute Mehrheit verloren hat. Seitdem führt sie die Minderheitsregierung mit Duldung der nordirischen Unionistenpartei.
Noch bevor die Entscheidung am Abend gefallen war, wurde auf den Fluren des Westminster-Palasts bereits mit Namen möglicher Nachfolger gehandelt. Es ging zu wie auf dem Basar, obwohl der Löwe noch brüllte. Wer könnte May beerben? Die Partei ist wie die Bevölkerung in der Europa-Frage tief gespalten und es bleibt fraglich, ob sich die Fraktion in naher Zukunft hinter einem Kandidaten versammeln könnte.
Etliche Abgeordnete dürften für May gestimmt haben aus Sorge, dass ein Brexit-Hardliner übernehmen und das Land am Ende ohne Abkommen aus der Gemeinschaft scheiden könnte. Ein No-Deal-Szenario aber lehnt der Großteil des Parlaments ab. Gleichzeitig findet sich derzeit auch keine Mehrheit für den vereinbarten Deal. Um eine krachende Niederlage zu vermeiden, hatte May am Montag das Votum über den Kompromiss abgesagt. Sie brach zu einer Charme-Offensive in Richtung Kontinent auf, doch die EU hatte dieselbe Botschaft, die sie seit Wochen auf allen Kanälen übermittelt: Man werde das Vertragspaket nicht noch einmal aufschnüren. Derweil stiegen die Wut und Frustration in London über May, die das Parlament ausbootete – und so den Misstrauensantrag provozierte.
Mindestens 48 Abgeordnete – 15 Prozent der konservativen Parlamentarier – hatten schriftlich einen „Letter of No Confidence“beim zuständigen Komitee eingereicht. Nun, da die Premierministerin das Votum gewonnen hat, kann sie für zwölf Monate nicht mehr herausgefordert werden, zumindest nicht von ihrer eigenen Partei. Ein Ausweg aus der Brexit-Krise ist dagegen weiterhin nicht absehbar.