Potenzielle Attentäter vereinen mittlerweile zwei Welten: Sie mischen kriminelle und ideologische Tätigkeiten.
Der in London lehrende deutsche Terrorforscher Peter R. Neumann beschreibt ein neues Profil von Attentätern.
SN: Herr Neumann, noch ist nicht genau klar, was in Straßburg passiert ist. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Es ist vieles unklar. Doch wir wissen, dass der Verdächtige in Frankreich als Gefährder geführt wurde und auch als gewöhnlicher Straftäter aufgefallen ist.
SN: Ist diese Kombination ungewöhnlich?
Es ist ein uns schon bekannter Typus in Frankreich, den Niederlanden oder auch in Deutschland, der bei Anhängern der dschihadistischen Ideologie sehr prominent ist. Manche blicken auf lange Karrieren als gewöhnliche Verbrecher zurück und driften zwischen diesen beiden Milieus hin und her. In Frankreich kann man mehr als die Hälfte der Gefährder diesem Typus zuordnen, in Deutschland sind es fast zwei Drittel. Dieser Typus ist sehr prominent geworden.
SN: Wie war das früher?
Der Prototyp des Alt-Dschihadisten sah anders aus: Da gab es viele Studenten aus dem Nahen Osten, die alle gar keine schlechten sozialen Aussichten hatten. Sie kamen nach Europa in die Universitäten, trafen einander, tranken Kaffee und diskutierten über Religion. Heute gibt es viele, die gar nicht besonders religiös sind, manche bezeichnen sich sogar als religiöse Analphabeten. Sie fühlen sich eher als Mitglieder einer Gang. Sie sehen im „Islamischen Staat“eine Art Gang, ein Zuhause. Sie mischen ihre kriminelle und ideologische Identität. Das ist anders als noch vor 20 Jahren.
SN: Große Anschläge hat es schon länger nicht mehr gegeben. Hat sich die Lage vielleicht beruhigt?
Das ist die Millionenfrage, auf die es keine Antwort gibt.
SN: Das klingt zumindest so, als könnte es auch ruhig bleiben.
Das Positive: Das Tempo terroristischer Operationen hat seit den Anschlägen in Barcelona deutlich abgenommen. Die Sicherheitsbehörden haben immer noch viel zu tun, aber es ist ruhiger als noch in den Jahren 2015 und 2016. SN: Die massive nachgelassen.
Warum ist das so?
Rekrutierung hat In den Netzwerken kamen keine neuen Leute hinzu. Da kann man von einem Stillstand sprechen. Die Leute sind schon seit zwei, drei Jahren dabei. Das ist ein Vorteil für die Behörden.
SN: Wie sieht die negative Seite aus?
Es gibt immer noch viele versuchte Anschläge. Die Bedrohungslage ist nicht bei null und diese Lage wird uns noch viele Jahre beschäftigen. Wir müssen weiterhin mit Anschlägen rechnen, die vielleicht aber nicht mehr ganz so wild sein werden wie 2014 oder 2015. Dass das schon ein Ende hätte, dafür haben sich viel zu viele Leute radikalisiert und es sind viel zu viele Leute in diese Netzwerke geraten.