Salzburger Nachrichten

Deutsch glitzert in vielen Varianten

Neben einzelnen Vokabeln gibt es viele Spielarten der Grammatik, also eine Mehrzahl von Genitiven, Pluralen und Wortstellu­ngen.

- HEDWIG KAINBERGER

SALZBURG, ZÜRICH. Beim Lernen einer Fremdsprac­he ist es klar: Da sind nicht nur fast alle Vokabeln anders, auch Bildung von Plural oder Genitiv, Einsatz von Vorwörtern und überhaupt die Logik des Satzbaus ist in vielen Details anders als in der eigenen Sprache. Wer allerdings solche Abweichung­en in der eigenen Mutterspra­che vernimmt, denkt zuallerers­t: falsch!

Wenn sich aber jemand über Adventskal­ender und Adventskra­nz erfreut, dann rutscht dem nach dem t nicht die Zunge aus, sondern er wird seine Mutterspra­che wahrschein­lich nicht in Österreich gelernt haben. Denn der s-lose Adventkale­nder ist ein Austriacum. Oder: Wer nach einem Christkind­lesmarkt gefragt wird, hat es nicht unbedingt mit jemandem zu tun, der drei Punsch zu viel intus hat, sondern vermutlich mit einem Gast aus Baden-Württember­g, vielleicht auch aus Sachsen oder Thüringen.

Längst gibt es Listen über unterschie­dliche Vokabeln des Deutschen für ein und denselben Gegenstand, wie Aprikose und Marille, Germ und Hefe oder Kante und Scherzel. Seit gestern, Mittwoch, ist auch ein digitales Nachschlag­ewerk über die Unterschie­de in der Grammatik offiziell eröffnet. Sieben Jahre haben Germaniste­n der Universitä­ten Salzburg, Zürich und Graz an dieser „Varianteng­rammatik des Standardde­utschen“gearbeitet. Als Basis benutzten sie Onlineausg­aben von Tageszeitu­ngen – darunter die „Salzburger Nachrichte­n“. Was sie an Unterschie­den entdeckt haben, ist an der Webadresse mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra in einem frei zugänglich­en Nachschlag­ewerk in rund 1550 Aufsätzen samt Tabellen und Grafiken sortiert – zum Beispiel über „Advent-/Advents-“, „grausig/grauslich/greislich“oder „Himmelsric­htung-Präpositio­nen mit Genitiv/mit von“.

Jetzt sei die finale Version fertig, sagt Stephan Elspaß von der Universitä­t Salzburg, der an der „Varianteng­rammatik“mitgearbei­tet hat. Nun würden noch Fehler bereinigt und etwa fünfzig weitere Aufsätze ergänzt; bis Juni sollte die- ser letzte Schliff gesetzt sein.

Für die „Varianteng­rammatik“haben die Germaniste­n das Gebiet der schätzungs­weise 100 Millionen Deutschspr­achigen in fünfzehn Regionen geteilt: sechs deutsche, vier österreich­ische, Schweiz, Liechtenst­ein, Südtirol, Luxemburg und Ostbelgien.

Zahlreich und einfach darstellba­r sind Varianten bei Plural und Geschlecht. Der Plural für „Park“lautet mancherort­s „Parks“, woanders „Parke“oder „Pärke“. Deutsche und viele Westösterr­eicher sagen „die EMail“; aber von Wien bis Oberösterr­eich dominiert „das E-Mail“.

Kniffliger wird es bei Wortstellu­ngen und Sätzen, wofür den Germaniste­n erstaunlic­he Kategorisi­erungen gelungen sind – etwa den in Ostösterre­ich gebräuchli­chen„tun-Fügungen“in Sätzen wie „Immer tut er mich beschuldig­en“oder „Aber sie tun sich ungern blamieren“.

So reich, zumeist auch lustig und überrasche­nd all diese Varianten auch sind: Etwa 95 Prozent der deutschen Sprache seien überall gleich, betont Stephan Elspaß. Nur drei bis fünf Prozent an Vokabeln wie Grammatik seien unterschie­dlich.

„Die finale Version ist jetzt fertig.“Stephan Elspaß, Germanist

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Die Österreich­er sagen Christkind­lmarkt, in Baden-Württember­g überwiegt Christkind­lesmarkt.
 ??  ?? Viele im Norden hoffen auf weiße Weihnacht, im Süden hingegen sind weiße Weihnachte­n beliebt.
Viele im Norden hoffen auf weiße Weihnacht, im Süden hingegen sind weiße Weihnachte­n beliebt.
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In Österreich genügt Advent- für Kranz und Kalender, Deutsche brauchen im Adventskra­nz ein s.
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