Schwulen Benediktiner ärgert der Rückzieher des Papstes
Für Pater Karl Helmreich ist die Haltung der katholischen Kirche zum Thema Homosexualität unerträglich. Er will nicht mehr schweigen: Gleichgeschlechtliche Liebe sei ein Menschenrecht.
„Für mich ist Homosexualität zu leben ein Menschenrecht. Und ich lasse mir keinen Maulkorb geben“, sagt Karl Helmreich. Der 79-jährige Benediktiner des Stiftes Melk ist innerhalb der Orden österreichweit wahrscheinlich der Einzige, der sich immer wieder kritisch zum Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Homosexualität äußert. „Dabei gibt es so viele, die aufschreien müssten.“
Der Pater spricht von einem Dilemma in der Kirche: „Es gibt viele Homosexuelle, aber darüber wird geschwiegen. Diese Verlogenheit ist unerträglich, es geht nur darum, ob man offen eine Beziehung lebt, weil im Verborgenen wird es geduldet.“Helmreich lehnt den Zwangszölibat ab, „aber derzeit haben wir ihn“.
Schlimm sei, dass Priester bei der Beichte oder Beratungsgesprächen auch Gläubigen, die ihre Beziehung leben dürften, verböten, ihre homosexuelle Liebe auszuleben. „Das muss endlich beseitigt werden. So etwas heute zu verkünden ist unverantwortlich vom Standpunkt der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, erklärt Pater Helmreich.
Dass Papst Franziskus beim Thema Homosexualität einen großen Rückzieher vollzogen hat, ärgert den Benediktiner maßlos. Ende Juli 2013 hatte das Kirchenoberhaupt noch gefordert, homosexuelle Menschen sollten in die Gesellschaft integriert und nicht ausgeschlossen werden. „Ich urteile nicht, wenn jemand Gott mit gutem Willen sucht. Wer bin ich, dass ich urteile?“
Am 3. Dezember 2018 klang das im Band „Die Kraft der Berufung“ganz anders: Priesterseminare und Orden müssten Kandidaten strenger auf homosexuelle Neigungen prüfen, fordert darin der Papst. Wenn bei Kandidaten für geistliche Berufe keine sorgfältige Prüfung der affektiven Reife und der sexuellen Ausrichtung erfolge, gebe es später Probleme. Homosexualität sei ein „sehr ernstes“Thema. „Wir müssen strikt sein. In unseren Gesellschaften scheint Homosexualität geradezu eine Mode zu sein, und dieses Denken beeinflusst in gewisser Weise auch das Leben der Kirche“, so Franziskus. „Im Ordensund Priesterleben gibt es keinen Platz für eine solche Art von Zuneigung“, führt der Papst aus. Nach kirchlicher Weisung dürften Personen „mit dieser tief sitzenden Tendenz“nicht zur Weihe oder zu Ordensgelübden zugelassen werden.
Pater Helmreich glaubt, dass der Papst von konservativen Kräften gesteuert wird und diese Aussage „sicher unter Druck“verfasst habe. Denn ein ganz ähnliches Papier sei im Jahr 2005 von seinem Vorgänger Papst Benedikt XVI. aufgesetzt worden. Conclusio von Helmreich: „Eine wirkliche Reform ist nicht möglich. Das ist dem Weiheamt geschuldet. Die Kirche kann gut über die Liebe in höchsten Tönen philosophieren, aber leibhaftig gelebte Liebe ist eine andere Sache.“Der Benediktiner, der vor 42 Jahren in das Stift eingetreten ist, hat sich 1990 geoutet, schwul zu sein. Damals habe ein Ausschluss aus der Ordensgemeinschaft im Raum gestanden, erzählt der 79-Jährige. Er ist heute noch dabei, „weil ich nie in Partnerschaft gelebt habe, das würde die Grenze sprengen“. Die SN besuchten den Pater in seiner Wohnung in Hirtenberg im südlichen Niederösterreich, im Konvent hat er nur ein paar Jahre gelebt. „Ich könnte im Kloster nicht leben, trotzdem gehöre ich fix zur Gemeinschaft dazu“, sagt Helmreich. Nachsatz: „Meine religiöse Welt hat sich sehr anders entwickelt.“Sein Wohnraum ist voll mit Büchern über Religion und Glauben. Der Pater hat keine Priesterweihe, er hat sein Leben dem sozialen Engagement verschrieben. Er war Sozialarbeiter und Erzieher, engagierte sich intensiv in der Flüchtlingshilfe. Vor 30 Jahren gründete Helmreich den Verein Netzwerk, der Minderheiten im Kosovo und Gefangene in Sonderhaftanstalten unterstützt.