Salzburger Nachrichten

2016 Schlusspfi­ff für den Kanzler

Warum Werner Faymann weggemobbt wurde. Warum eine Sozialdemo­kratin ihre Illusion über die Partei verlor. Und warum heute Alexander Van der Bellen und Sebastian Kurz an der Staatsspit­ze stehen.

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„Es wird eng für Werner Faymann“, schrieben die SN am 29. April 2016. Doch der nach Wahlschlap­pen und internen Querelen angeschlag­ene Bundeskanz­ler und SPÖ-Vorsitzend­e ging ein letztes Mal in die Gegenoffen­sive. „Rechnen Sie weiter mit mir“, forderte er am gleichen Tag in einem ZiB-1-Interview die Nation auf.

Vergeblich. Der traditione­lle Maiaufmars­ch der Sozialdemo­kraten zwei Tage später sollte zum Fanal für den SPÖ-Vorsitzend­en werden. Faymanns Ansprache auf dem Wiener Rathauspla­tz ging in Buhrufen und einem Pfeifkonze­rt seiner vorgeblich­en Parteifreu­nde unter. Auf Transparen­ten wurde der Kanzler und Parteichef zum Rücktritt aufgeforde­rt. Faymann musste seine Rede vorzeitig beenden. Ein beispiello­ser Vorfall in der Geschichte dieser stolzen Partei, die sich so viel auf ihre Solidaritä­t zugutehält.

„An diesem 1. Mai habe ich meine Illusion über die Sozialdemo­kratie verloren“, erinnert sich eine Wienerin, die zuvor jahrelang an den Maiaufmärs­chen der SPÖ teilgenomm­en hatte. Die auf dem Rathauspla­tz geschwenkt­en Anti-Faymann-Transparen­te wirkten „wie aus dem Nichts hervorgeza­ubert“, waren aber offenbar von langer Hand vorbereite­t, beobachtet­e die Augenzeugi­n – und sie fragt sich heute noch: „Wo blieb der Zusammenha­lt, wo die Solidaritä­t mit jemandem, der die Fahne viele Jahre lang vorangetra­gen hat?“Sie habe seit diesem Tag nie wieder an einer Maikundgeb­ung teilgenomm­en – „und ich bin nicht sicher, ob ich diesen Schock jemals überwinden kann“. Dass damals sogar Faymanns Familie bedrängt worden sei, „das war für mich ein Bruch mit Werten, an die ich geglaubt habe“, sagt die Augenzeugi­n.

Es war in der Tat nicht die vielzitier­te Parteibasi­s, die Faymann vom Rathauspla­tz gepfiffen hatte. Vielmehr war es eine überschaub­are Gruppe gut organisier­ter Faymann-Gegner gewesen, die die Ungunst der Stunde genutzt und die allgemeine Faymann-Müdigkeit zum Eskalieren gebracht hatte. Wenige Tage darauf trat der Geschmähte als SPÖ-Chef und Kanzler zurück.

2016 war das Jahr, in dem vieles anders wurde in der SPÖ. Und auch in der ÖVP. Dass die SPÖ heute nicht mehr Kanzlerpar­tei ist, sondern sich mit der Opposition­srolle begnügen muss, geht auf die Vorfälle von 2016 zurück. Dass die ÖVP heute nicht mehr schwarz, sondern türkis ist, und dass der Bundeskanz­ler Sebastian Kurz heißt, geht auf 2016 zurück. Und dass der Bundespräs­ident ein Grüner ist und Alexander Van der Bellen heißt, geht ebenfalls auf 2016 zurück.

In diesem Jahr hatte der Verdruss über die Politik der alten SPÖ-ÖVP-Koalition seinen vorläufige­n Höhepunkt erreicht. Die Migrantenw­elle, die im Frühjahr 2016 erst langsam verebbte, die zigtausend­fachen ungeregelt­en Grenzübert­ritte, die massenhaft­e Zuwanderun­g hatten bei vielen Bürgern den Eindruck erweckt, dass die Staatsgewa­lt nicht mehr Herrin im eigenen Haus war. Bundeskanz­ler Faymann agierte hilflos: Einerseits plädierte er für offene Grenzen und beschimpft­e seinen ungarische­n Kollegen Viktor Orbán, weil dieser die EU-Außengrenz­en schützen wollte. Doch anderersei­ts beugte er sich nach und nach dem Wunsch der ÖVP nach einem strengeren Grenzregim­e. Mit der Folge, dass seine Politik von links ebenso heftig kritisiert wurde wie von rechts.

Der Verdruss der Bürger fand sein Ventil wenige Tage vor dem Pfeifkonze­rt vom Rathauspla­tz, nämlich beim ersten Durchgang der Bundespräs­identschaf­tswahl am 24. April 2016. Vorbei die Zeiten, als Präsidents­chaftswahl­en grundsätzl­ich von SPÖ oder ÖVP gewonnen wurden. Diesmal war alles anders. Weit voran lagen Norbert Hofer (FPÖ), Alexander Van der Bellen (unabhängig/von den Grünen unterstütz­t) und Irmgard Griss (unabhängig). Weit abgeschlag­en SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfe­r mit 11,28 Prozent und ÖVP-Kandidat Andreas Khol mit 11,12 Prozent. Schallende­r konnte eine Ohrfeige für die Regierungs­parteien nicht sein.

Die SPÖ zog wenige Tage nach diesem historisch­en Debakel die Konsequenz­en und versuchte mit Christian Kern einen Neustart. Die ÖVP tat es ihr ein Jahr später gleich und setzte Sebastian Kurz an die Spitze der Partei. Dass sich bei der darauf folgenden Nationalra­tswahl Sebastian Kurz gegen Christian Kern durchsetzt­e, hat einen einfachen Grund: Anders als SPÖ-Chef Kern, der in der SPÖ weitgehend alles beim Alten ließ, stand ÖVP-Chef Kurz tatsächlic­h für ein Ende der alten, der abgewählte­n Politik. Er tauschte nicht nur die Parteifarb­e aus, sondern auch das gesamte Spitzenper­sonal der ÖVP. Und er machte glaubhaft, dass er einen neuen Regierungs­stil und einen neuen Regierungs­partner wolle.

Doch wir sind der Entwicklun­g vorangeeil­t, all das ereignete sich erst 2017. Zurück nach 2016, das Jahr der holprigste­n Bundespräs­identschaf­tswahl der Geschichte: Beim ersten Wahlgang am 24. April war Norbert Hofer zwar mit großem Vorsprung über die Ziellinie gekommen, doch hatte keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erreicht. Am 22. Mai kam es zur Stichwahl. Diese konnte Alexander Van der Bellen um Haaresbrei­te für sich entscheide­n. Doch wegen Schlampere­ien bei der Stimmenaus­zählung annulliert­e der Verfassung­sgerichtsh­of die Wahl. Also wurde eine Wahlwieder­holung für den 2. Oktober angesetzt. Doch die Briefwahlu­nterlagen waren schadhaft, die Wahl musste auf 4. Dezember verschoben werden. Beim vierten Anlauf war es nun so weit. Alexander Van der Bellen gewann die Wahlwieder­holung mit deutlichem Vorsprung. Den Rechtsruck bei der Nationalra­tswahl zehn Monate später konnte er nicht verhindern.

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BILD: SN/APA/HANS PUNZ Seine Rede ging in einer Buh- und Pfeiforgie seiner Parteifreu­nde unter. Werner Faymann wurde Opfer des allgemeine­n Verdrusses über die Politik der SPÖÖVP-Koalition.

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