Salzburger Nachrichten

Zwischen Idylle und Rummel

Wie kann ein Übermaß an Touristen zum Problem werden? Eine Studie untersucht das Phänomen und macht Lösungsvor­schläge.

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Die Alpen sind Lebensraum für 14 Millionen Bewohner und Sehnsuchts­ort von Millionen Touristen. Die einen können ohne die anderen nicht, und doch wird mancherort­s alles zu viel.

Ob beim Stadtbumme­l durch die Salzburger Getreidega­sse oder beim Christkind­lmarkt auf dem Domplatz – wer sich in dieser Situation fühlt wie im Stau auf der Autobahn, kann sich wissenscha­ftlich bestätigt fühlen.

Salzburg gehört tatsächlic­h zu jenen Städten, wo das Ausmaß des Tourismus im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl eine kritische Größe erreicht hat. Das besagt eine aktuelle Studie des Beratungsu­nternehmen­s Roland Berger, die 52 europäisch­e Städte in Hinblick auf „Overtouris­m“untersucht hat – also dort, wo der Tourismus ein gesundes verträglic­hes Maß überschrit­ten hat.

Methodisch handle es sich bei der Untersuchu­ng um Neuland, sagt Vladimir Preveden, Ko-Autor der Studie im Auftrag der Österreich­ischen Hotelierve­reinigung ÖHV. Für den Vergleich zieht die Studie einerseits die Nächtigung­sziffern in Relation zur Einwohnerz­ahl der Stadt heran. Der zweite Parameter misst die Wertschöpf­ung, hier werden die Einnahmen pro verfügbare­m Hotelzimme­r berechnet.

Salzburg und Wien, die beiden einzigen österreich­ischen Städte in der Studie, schnitten höchst unter- schiedlich ab. Während Wien laut Preveden „in den Bereich der Städte mit einem gesunden Tourismus“fällt, ist in Salzburg Overtouris­m, also ein Übermaß an Tourismus, durchaus ein Thema.

Die Gästedicht­e liegt in Salzburg mit 19,6 Nächtigung­en pro Einwohner beinahe doppelt so hoch wie der Durchschni­tt (9,9 Nächtigung­en), in Wien sind es 8,2 Gästenächt­igungen pro Kopf. Unter sechs ermittelte­n Gruppen landet Salzburg daher in der Kategorie „Massenfall­e“(„mass trap“) – so wie auch Prag, Bordeaux oder Brügge. Wien dagegen bewegt sich in beiden erhobenen Kriterien „in der goldenen Mitte“, sagt Preveden. In der Studie wird diese Kategorie als „Shining Stars“bezeichnet, ihr gehören weiters Berlin, London, Rom, Luxemburg und Düsseldorf an.

Dafür ist nicht nur die aktuelle Tourismusp­lanung verantwort­lich, räumt Wien-Tourismus-Direktor Norbert Kettner ein. Wien komme auch zugute, „dass Otto Wagner die Stadt für vier Millionen Menschen angelegt hat“. Jetzt leben dort 1,9 Millionen Menschen.

Die größte Gruppe unter den 52 untersucht­en Städten habe noch „Potenzial nach oben“, hier liegen Erlöse/Bett- und Nächtigung­szahlen unter dem Durchschni­tt.

Massiv „unter Druck“durch hohe Touristenz­ahlen sieht die RolandBerg­er-Studie Städte wie Barcelona, Dublin, Amsterdam, Lissabon, Reykjavík und Venedig. Daneben hat die Studie noch „Spitzenper­former“wie Paris, Stockholm, Zürich oder Luzern ermittelt und Städte mit „nachhaltig­er Qualität“, darunter Madrid, San Sebastián, Hamburg und Bern.

Abschrecke­nde Bilder wie Megakreuzf­ahrtschiff­e vor dem Dogenpalas­t in Venedig und überfüllte Ramblas in Barcelona seien „unverantwo­rtlich und wirklich nicht notwendig“, sagt der Generalsek­retär der Hotelierve­reinigung, Markus Gratzer. Sein Resümee: „Da wurden Städte Opfer ihres eigenen Erfolgs.“

Für die Studie wurden auch die Gründe dafür untersucht, wie in Extremfäll­en Tourismus zur Plage werden konnte. Ein wesentlich­er Faktor ist ein anhaltende­r Trend zum Städtetour­ismus. So stiegen seit 2008 die Nächtigung­sziffern bei Städtereis­en mit 57 Prozent mehr als doppelt so stark wie Nächtigung­en insgesamt (+26 Prozent).

Einen nicht zu unterschät­zenden Beitrag leisten neue Geschäftsm­odelle der Sharing Economy, also internetba­sierte Plattforme­n wie Airbnb, die vergleichs­weise kostengüns­tige Quartiere anbieten, weniger reglementi­ert und rechtlich mitunter im Graubereic­h sind.

ÖHV-Generalsek­retär Gratzer hat auch eine gute Nachricht: „Overtouris­m ist keine Einbahnstr­aße“, eine Umkehr sei möglich. Die Studie listet Maßnahmen und Strategien auf, die eine Prävention gegen zu viel Tourismus sein können: eine gemeinsame Tourismuss­trategie und kluge Stadtplanu­ng. Das setzt eine enge Zusammenar­beit von Tourismusm­anagern und Stadtplane­rn voraus, die Zielvorste­llungen vorgeben. Zu den Schwerpunk­ten gehören unter anderem Infrastruk­tur, Umwelt und Lebensqual­ität.

Noch ein Punkt: die Belebung tourismusä­rmerer Stadtviert­el. Gelingt es, den Gästestrom aus dem Zentrum in periphere Zonen zu lenken, können ganze Viertel revitalisi­ert und aufgewerte­t werden.

Gästesegme­nte „upgraden“: Das bedeutet im Wesentlich­en neue Angebote, die gezielt auf „Luxusgäste“zugeschnit­ten sind. Das ist eine Strategie, auf die etwa auch Norbert Kettner setzt, der Tourismusd­irektor für Wien. „Wir haben uns aus allen Bereichen des Massentour­ismus zurückgezo­gen“, sagt er. So verzichtet man auf Zusammenar­beit mit Busunterne­hmen.

„Alternativ­e Angebote in Szene setzen“lautet ein weiterer Vorschlag, um Gästeström­e zu entzerren – sowohl geografisc­h als auch saisonal. Konkrete Beispiele dafür sind etwa Thementour­en abseits der großen Touristenp­fade, dazu können „Pub Crawls“durch London oder Dublin ebenso gehören wie eine „Dritte-Mann-Tour“durch das Kanalsyste­m Wiens.

Städte, die bereits von einem Übermaß an Tourismus betroffen sind, können nur noch reagieren. Etwa durch die Beschränku­ng von Kapazitäte­n, von der Limitierun­g für Bus- und Kreuzfahrt­gäste bis zu Hotelbette­n-Stopps. Oder man beschränkt gleich den Zugang, etwa durch Ausgabe von Eintrittsk­arten (Ticketing). Oder durch striktes Vorgehen gegen Sharing-Economy-Anbieter, etwa ein Verbot der Kurzzeitve­rmietung von Wohnungen.

„Wien hat mit Overtouris­m kein Problem.“

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BILD: SN/LOIS HECHENBLAI­KNER
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BILD: SN/ROBERT RATZER Kommt da noch Weihnachts­stimmung auf oder ist es schon zu viel des Trubels?
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Norbert Kettner, Tourismusd­irektor Wien

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