Der Kampf der Kassen
Die Kassenreform und ihre Kritiker: Bleibt der Protest der Gewerkschaft ohne Folgen?
„Arbeitnehmer haben weniger Gewicht.“ Anna Pannagl, Krankenschwester „Die Regierung hat da nichts verloren.“ Michael Zweibrot, Salzburger GKK
WIEN. „Ist da heute nichts?“, fragt die alte Dame und deutet auf das Gebäude der Wiener Gebietskrankenkasse, wo sie ganz offensichtlich hinein will. „Nein, heute ist da nichts“, antwortet eine Gewerkschafterin mit rotem Gilet und Trillerpfeife in der Hand. Der Wind pfeift zwischen den Hochhäusern am Wienerberg, es regnet. „Heute demonstrieren wir gegen die Regierung, die unsere Sozialversicherung zerstören will“, sagt sie.
Angestellte der Sozialversicherungsträger aus ganz Österreich waren gestern, Mittwoch, busweise nach Wien gekommen, um lautstark gegen die türkis-blauen Regierungspläne zur Zusammenlegung der Sozialversicherungen zu demonstrieren. In Wien und Niederösterreich blieben Kundencenter und Kassenambulatorien geschlossen, in Wien waren auch die Gesundheitszentren, Kundencenter in den Außenstellen und die Zentrale der Gebietskrankenkasse für mehrere Stunden zu. „Unser Sozialsystem darf keinen Herzinfarkt bekommen“, stand auf Transparenten vor der Zentrale der Wiener Gebietskrankenkasse. Oder: „Verbesserungen ja. Aber kein Eingriff ohne Plan“und „Budget ok! Sozial ade“. „Wir müssen einfach ein Zeichen setzen, dass das so nicht geht“, sagte ein Gewerkschafter und griff zur roten Trillerpfeife.
Mehr als ein Zeichen war der Pro- test auch nicht. Denn die Regierung wird die Reform der Sozialversicherung schon heute, Donnerstag, im Nationalrat beschließen. Die Sozialversicherungsträger werden demnach von 21 auf fünf reduziert. Statt neun Gebietskrankenkassen soll es künftig eine Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) geben, deren Versicherte bis 2021 überall die gleichen Leistungen kriegen sollen. Neben der ÖGK für Arbeitnehmer wird es weiterhin auch andere – und wie Gewerkschaft und Opposition meinen: privilegierte – Berufsgruppenkassen geben. Bauern und Unternehmer kommen unter ein Dach, Öffentlicher Dienst, Eisenbahn und Bergbau werden zusammengefasst. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt ebenso wie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt. Zudem wird der Hauptverband der Sozialversicherungsträger zu einem schlankeren Dachverband, die Zahl der Funktionäre soll deutlich schrumpfen. Außerdem sollen die Arbeitgeber mehr Gewicht in den Gremien bekommen. Das ärgert vor allem die beiden Krankenschwestern Anna Pannagl und Maria Paul, die beide im Hanusch-Krankenhaus der Wiener Gebietskrankenkasse arbeiten, wo die Ambulanzen am Mittwoch ebenfalls geschlossen blieben. Und deshalb seien sie auch zum Protestieren gekommen. „Wir befürchten einfach, dass die Arbeitnehmer künftig weniger Gewicht in den Verhandlungen haben, obwohl sie am meisten einzahlen“, sagten sie unisono. Außerdem gebe es noch so viele offene Fragen: Wie etwa würden die Leistungen der verschiedenen Krankenkassen angeglichen? Sie befürchte, dass nach unten nivelliert werde, betonte Maria Paul.
Christian Dvorak ist mit 250 Kolleginnen und Kollegen aus dem Burgenland angereist, um seinem Ärger Luft zu machen. „Es geht um das Zerschlagen eines funktionierenden Systems“, sagte der Betriebsratsvorsitzende der Burgenländischen Gebietskrankenkasse. „Wie will man einsparen, ohne an Qualität zu verlieren? Was passiert mit den Außenstellen der Krankenkassen vor Ort?“, fragt er sich und kritisiert, dass es keine Verhandlungen auf Augenhöhe mit den Krankenkassen gegeben habe. Ganz ähnlich sieht das sein Salzburger Kollege Michael Zweibrot. Er betonte auch, dass „eine Regierung in der Selbstverwaltung nichts verloren hat“. Die Reform bringe Nachteile für sehr viele Menschen, sagte er.
Auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian warnte – angefeuert von laut Gewerkschaftsangaben 4000 Teilnehmern – schließlich vor „weniger Versorgungssicherheit, drohenden Leistungskürzungen und Selbstbehalten“. Lautstarkes Pfeifen. Besonders empört zeigte sich der Gewerkschaftschef über die geplante Sonderklasse in Spitalsambulanzen: „Seids ihr wuggi?“, fragte er die nicht anwesende Regierung. Noch lauteres Pfeifen. Auch wenn die Regierung die Reform beschließe, werde die Gewerkschaft die geplante Kassenreform bekämpfen, bekräftige Katzian. Ohrenbetäubende Zustimmung. Schilder mit Fotomontagen, die Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler HeinzChristian Strache mit PinocchioNasen zeigten, wurden hochgehalten. Dass die Kassenreform eine Milliarde Euro einspare, glaube kein Mensch, sagte ein Demonstrant. Zumindest in der Hinsicht hatte die Gewerkschaft Schützenhilfe von unverdächtiger Seite bekommen: Der Nachweis der Einsparung von einer Milliarde Euro fehle, hatte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker schon im Oktober gesagt.