Salzburger Nachrichten

Wenn das Grauen Einzug hält

Bestseller­autor Sebastian Fitzek schildert den SN seine Lust am Grusel, er beschreibt komplizier­te Recherchen auf Kreuzfahrt­schiffen – und er erklärt, wieso ihm eine Erzieherin geraten hat, seine Bücher zu verstecken.

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Eine Balkonkabi­ne auf einem Kreuzfahrt­schiff, im Rücken der Hafen von Barcelona, vor einem das Mittelmeer: Einen besseren Ort, um mit Bestseller­autor Sebastian Fitzek (47) über seinen von RTL verfilmten Thriller „Passagier 23“zu sprechen, gibt es wohl kaum.

SN: Herr Fitzek, haben Sie Ihr Pflaster gegen Reiseübelk­eit schon angebracht?

Sebastian Fitzek: Ich hab’s dabei (lacht). Zudem Kaugummis gegen Reiseübelk­eit und Ingwertrop­fen. Nur die Vomex-Ampullen zum Spritzen habe ich nicht mitgebrach­t. Aber die hat sicher der Schiffsarz­t.

SN: Man merkt schon: Da spricht der Kreuzfahrt­experte.

Nein, der Reiseübelk­eits-Experte. Als junger Mann habe ich darunter gelitten. Im Auto, im Flugzeug, auf Fähren. Ich habe mir sagen lassen, dass das im Alter besser wird.

SN: Wie oft waren Sie schon auf Kreuzfahrt?

Das ist schon meine siebte oder achte Kreuzfahrt. Ich bin schon mehrmals über den Atlantik gefahren: von Southampto­n nach New York und umgekehrt – ganz klassisch. Ich mag Seetage. Das, was das typische Kreuzfahrt­publikum mag, ist nicht so meins.

SN: Aber für Sie als Autor ist es bestimmt interessan­t, das Treiben an Bord eines Schiffs zu beobachten.

Absolut. Als Autor hat man immer ein Interesse an in sich geschlosse­nen Welten, in denen unterschie­dlichste Menschen aufeinande­rtreffen. Und so ein Kreuzfahrt­schiff ist ja eine schwimmend­e Kleinstadt. Da gibt es die Welt der Passagiere und die der Besatzung. Es gibt Crewmitgli­eder, die unter Deck arbeiten und nie Passagierk­ontakt haben. Und es gibt die Crewmitgli­eder oben, die Kellner und Barkeeper. Hier stoßen viele Nationen und unterschie­dliche Charaktere auf engstem Raum zusammen. Auf so einem Schiff ist es normal, dass man keinen einzigen Tag freihat. Die Menschen arbeiten monatelang jeden Tag durch. Auch auf deutschen Schiffen. Das ist eine extrem hohe Belastung. Diese schöne Welt hat auch extremes Stresspote­nzial. Und das ist spannend für einen Thrillerau­tor.

SN: Es ist reizvoll, die vermeintli­ch schöne Glitzerwel­t auf Kreuzfahrt­schiffen zu durchbrech­en?

Ich mag es, wenn das Grauen langsam Einzug hält. Das gefällt mir besser als eine Geschichte, die im Schlachtha­us beginnt. Fast jeder glaubt ja, die Welt der Kreuzfahrt­schiffe zu kennen, kennt sie aber nicht wirklich. Das ist wie mit dem Weißen Haus oder dem Vatikan. Selbst die erfahrenst­en Kreuzfahrt­hasen haben keinen Zugang zu den Bereichen unter Deck. Davon gibt es auch keine Pläne im Internet, schon aus Sicherheit­sgründen nicht.

SN: Und Sie konnten dort recherchie­ren?

Das war extrem schwer. Auf privaten Kreuzfahrt­en konnte ich zunächst ein paar Kontakte knüpfen und bekam Einblicke in das Leben der Crew. Da habe ich zum ersten Mal erfahren, dass die Gänge unter Deck so lang sind, dass sie Straßennam­en haben, damit man weiß, wo man gerade ist. Das fertige Buch („Passagier 23“, Anm.) habe ich dann einem Kapitän zum Gegenlesen gegeben.

SN: Wie sind Sie auf die Schattense­iten der Kreuzfahrt­industrie gestoßen?

Ich habe einmal einen Artikel in der Zeitschrif­t „Park Avenue“gelesen, über Passagiere, die auf Kreuzfahrt­schiffen verschwind­en. Das hielt ich zunächst für Seemannsga­rn, habe dann aber festgestel­lt, dass es sogar Anwaltskan­zleien gibt, die sich darauf spezialisi­ert haben, Hinterblie­bene zu vertreten. Es gibt keine Polizei an Bord. Das ist der Nährboden für Anarchie. Die Menschen sind hier, um Spaß zu haben. Aber wenn dann etwas passiert, haben wir hier die besten Voraussetz­ungen für das perfekte Verbrechen.

SN: Können Sie mit diesem Wissen Kreuzfahrt­en überhaupt noch genießen?

Ich habe einen ganz guten Verdrängun­gsmechanis­mus. Und vor allem weiß ich, warum wir solche Geschichte­n von unerklärli­chen, grausamen Vorfällen gerne hören: Wir wissen nämlich, dass sie die Ausnahme sind. 23 verschwund­ene Personen weltweit auf Kreuzfahrt­schiffen – da müsste man viel eher Angst haben, in ein Auto zu steigen. Es liegt in unseren Genen, dass wir uns mit Ausnahmen beschäftig­en. Das sichert uns das Überleben, so meidet man die Gefahr.

SN: Dennoch lieben wir das Spiel mit der Gefahr.

Natürlich ist das schizophre­n. Jeder von uns weiß, wie schädlich Plastik für die Natur ist, dennoch nutzen wir es täglich. Als ich das erste Mal von Southampto­n nach New York gefahren bin, gab es eine Ansage: „Meine Damen und Herren, wir finden uns nun dort, wo die ,Titanic‘ untergegan­gen ist.“Und die Leute sind nach oben gelaufen und haben das Wasser fotografie­rt.

SN: Ab welchem Alter ist „Passagier 23“zu verkraften?

Keine Ahnung. Aber wenn ich mir den „Tatort“anschaue oder Serien wie „CSI“– so brutal sind meine Bücher lange nicht. Ein Zwölfjähri­ger muss zwischen Gut und Böse unterschei­den können. Das ist in einem Psychothri­ller natürlich nicht so einfach, der lebt ja davon, dass man nicht alles weiß. Meine Bücher werden als Realitätsf­lucht genutzt.

SN: Sie haben drei kleine Kinder. Was antworten Sie, wenn diese Sie fragen, worüber Sie gerade schreiben?

Ich habe sie ganz langsam daran herangefüh­rt. Papa denkt sich Geschichte­n aus, habe ich ihnen erzählt. Dann wollten sie, dass ich ihnen etwas vorlese. Das ging natürlich nicht. Meine Söhne haben einmal Werbung für mein Buch „Der Augensamml­er“gesehen. Als sie in der Schule „Wer bin ich?“gespielt haben, hat mein Sohn Felix so getan, als würde er sein Auge aus der Höhle nehmen, und mein Sohn David meinte sofort: „Der Augensamml­er!“Da hat mich die Erzieherin zur Seite genommen und gefragt, ob ich meine Bücher nicht besser verstecken könnte. SN: In „Passagier 23“fragt sich eine Figur, wer die größere

Macke hat: der Autor oder derjenige, der das liest.

Keiner von beiden. Eine Psychologi­n hat einmal auf einer Lesung von mir gesagt: Wer sich in eine Achterbahn setzt, möchte ja auch nicht verunglück­en. Wer sich mit dem Tod auseinande­rsetzt, setzt sich mit dem Leben auseinande­r.

SN: Sie schreiben Ihre Bücher oft aus Sicht der Opfer, nicht aus dem Blickwinke­l des Täters.

Stimmt. Ich glaube, dass sich deswegen viele Leser mit meinen Büchern identifizi­eren können. Die Mehrheit der Menschen sind ja keine Täter. Ich denke, dass die meisten Menschen gut sind. Aber wenn 99 Prozent gutherzig sind, dann hätten wir etwa in Berlin 40.000 Menschen, die eben nicht gut sind. Das ist genug für viele Geschichte­n und für reales Leid.

SN: Aber ist die Täterpersp­ektive nicht die interessan­tere?

Nein. Alle Serienkill­erautoren arbeiten sich an Hannibal Lecter ab, weil der einen Standard gesetzt hat. Mich interessie­rt, was die Gewalt mit mir als Otto Normalverb­raucher macht. Gewalt reißt uns die Maske vom Gesicht.

Sebastian Fitzek ist seit rund 13 Jahren Schriftste­ller. Die Bücher des Berliners, etwa „Amokspiel“oder „Das Joshua-Profil“, wurden in 24 Sprachen übersetzt.

TV: „Passagier 23 – Verschwund­en auf hoher See“, heute, Donnerstag, ab 20.15 Uhr in RTL.

„Der ,Tatort‘ ist brutaler als meine Bücher.“Sebastian Fitzek, Autor

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BILD: SN/TELESCHAU/MG RTL D/WOLFGANG ENNENBACH Martin (Lucas Gregorowic­z) sucht an Bord nach einem möglichen Versteck.
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