Und sie bewegen sich doch
Durch die Digitalisierung wird die Welt im wörtlichen Sinn immer weniger begreifbar. Was ist also, wenn etwa Großeltern und Enkel örtlich getrennt sind und trotzdem miteinander spielen wollen?
Mit der Oma ein Spiel spielen, obwohl sie nicht in Salzburg lebt? Das ist auf digitalem Weg möglich. Aber ist das auch lustig? Salzburger Forscher untersuchen derzeit, wie man die digitale Welt „begreifbar“machen kann und was für große und kleine Menschen dabei angenehm ist.
Familie und Freunde sind – bedingt durch die modernen Arbeits- und Lebensbedingungen – geografisch immer öfter voneinander getrennt. Mittels Instant-Messaging-Diensten wie Skype oder WhatsApp ist zwar auch über große Distanzen Kommunikation auf vielen Kanälen problemlos möglich. Aber etwa zwischen Großeltern und Enkeln ist das nicht ideal. Denn beim Telefonieren oder Videotelefonieren fehlt kleinen Kindern oft die Konzentration, die Kommunikation reißt meist bald ab.
Gemeinsam etwas tun ist daher gefragt. Im einfachsten Fall heißt das etwa, über zwei Standorte ein digitales Spiel zu spielen. Stellt sich die Frage, ob sich das digitale Spielerlebnis und die Beziehung zwischen den Spielern durch die Kombination mit angreifbaren Elementen verbessern ließe, etwa durch einen Würfel, der sich wirklich bewegt?
Das untersucht ein Team um Verena Fuchsberger vom Center for Human-Computer Interaction (HCI) der Universität Salzburg im Projekt „re:tangent. Remote Tangible Engagements“. Fuchsberger arbeitet an der Schnittstelle zwischen Informatik, Sozial- und Geisteswissenschaften.
„Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Eine Großmutter in Salzburg will mit ihrem Enkelkind in Berlin ,Mensch ärgere Dich nicht‘ spielen. Der reale Würfel liegt am Spieltisch. Wenn der eine würfelt, bewegt sich auch beim anderen der Knobel und umgekehrt. Technisch ist das machbar. Für uns stellt sich aber die Frage: Verbessert das tatsächlich das Erlebnis, und wollen es die Menschen?“
Die Antwort darauf wird sich aus der in diesem Jahr gestarteten Studie ergeben. Fuchsberger führt in dem Projekt unter anderem Materialstudien durch. Materialität ist ein Kernthema ihrer Forschung. Es geht dabei um die Frage, wie man die digitale Welt in der physischen Welt gestalten kann, wie Menschen die digitalen Artefakte erleben. „Wir werden uns in dem Projekt auf Brettspiele und verschiedene Spielzeuge fokussieren. Wir wollen uns anschauen, was technisch zum Beispiel beim Würfel möglich ist, welche Sensoren kann man verwenden, welches Verhalten muss er zeigen, wie viel Verzögerung darf er haben, damit das Spiel noch spannend ist“, sagt Fuchsberger.
Für derartige Fragestellungen sei die Kooperation zwischen verschiedenen Disziplinen, wie sie am Center for HCI praktiziert wird, unabdingbar, betont Fuchsberger. Unter der Leitung des Informatikers und HCI-Forschers Manfred Tscheligi arbeiten am Center for HCI Informatiker, Designer und Soziologen zusammen.
Verena Fuchsberger arbeitet sowohl theoretisch als auch praktisch, denn sie befragt und beobachtet Menschen. „Ich gehe an Technologien immer von der Seite der Menschen heran. Mich interessiert weniger, wie die Technologien im Detail funktionieren, sondern wie wir damit umgehen und wie ein Designprozess von Digitalem funktioniert.“
Ein Thema, das sie sehr interessiert, ist die Technologieverweigerung. „Dieses Thema kommt aus meiner Forschung mit älteren Menschen. Wenn Leute moderne Technologien nicht nutzen, finde ich das auch in Ordnung. Allerdings ist das für die Betreffenden oft mit Nachteilen verbunden. Wenn jemand am Bahnhof den Fahrkartenautomaten meidet, zahlt er zum Beispiel mehr. Wichtig finde ich aber, dass es zumindest Wahlmöglichkeiten gibt, das versuche ich Entwicklern und Designern zu vermitteln.“
Und wie hält sie es selbst mit den neuen Technologien? „Ich probiere das meiste aus, aber ich nutze nicht extrem viel. Ich bin eine Convenience-Nutzerin, alles, was mir praktisch vorkommt, nutze ich. Aber ich bin keine große Computerspielerin und ich habe auch keine Alexa zu Hause, weil ich für mich noch nicht herausgefunden habe, warum Alexa für mich nützlich ist.“
Im Oktober 2018 wurde Verena Fuchsberger mit dem heuer erstmals vergebenen Hedy-LamarrPreis ausgezeichnet, „für ihre außergewöhnlichen Leistungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie“.
Der 10.000-Euro-Preis der Stadt Wien ist nach der aus Österreich stammenden Hollywoodschauspielerin und Erfinderin benannt. Er soll Vorbilder für junge Frauen im IT-Forschungsbereich anspornen. „Re:tangent“ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Center for Human-Computer Interaction der Universität Salzburg und dem Meaningful Interactions Lab (Mintlab) Leuven in Belgien. Es wird vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt und ist erst 2021 abgeschlossen.
„Die Frage ist, was wollen die Menschen.“Verena Fuchsberger, HCI