Der Berg hat niemals Schuld
Wie tief kann ein Extrembergsteiger stürzen? Hans Kammerlander hat einige Zeit gebraucht, um diese Frage für sich zu beantworten.
SALZBURG. Der Film „Manaslu“zeigt das Leben des Extrembergsteigers Hans Kammerlander in allen Höhen und Tiefen. Es geht um Glücksgefühle auf dem Gipfel und zerbrochene Beziehungen im Tal, um die Rückkehr zu seinem Schicksalsberg, auf dem zwei seiner Freunde neben ihm starben, und auch um einen von ihm verursachten Unfall mit Todesfolge.
SN: Herr Kammerlander, Sie sprechen im Film „Manaslu“sehr freizügig über Fehler. War dieser Blick in die offene Seele so geplant? Ich kenne viele Bergfilme, aber viel zu viele kommen daher, als hätten die Protagonisten nie Fehler gemacht, so als wär immer alles gut gegangen. Ich wollte kein Heldenepos. Auch wenn ich Extremes mache, bin ich ein normaler Mensch.
SN: Wie kam es dazu, dass Sie noch einmal zu Ihrem Schicksalsberg, dem Manaslu, zurückgekehrt sind, auf dem zwei Ihrer Freunde umkamen. Das war, nachdem 2006 am Jasemba, einem 7000er im EverestGebiet, ein Partner verunglückt war. Im Jahr darauf war ich wieder dort, schaffte den Gipfel. Ich war glücklich, das zu Ende gebracht zu haben. Da entstand die Idee, zum Manaslu zurückzukehren.
SN: Mit welchem Gefühl sehen Sie diesen Berg? Ich habe viel zu lang gezögert, dorthin zurückzukehren. Ich habe viel zu lang gelitten. Das war ein Fehler. Durch die Rückkehr konnte ich meine verunglückten Freunde ehren und auch irgendwie Frieden mit dem Berg schließen.
SN: Gaben Sie dem Berg auch die Schuld an der Tragödie? Ein Berg kann keine Schuld haben, sondern nur die, die sich auf ihm bewegen. Wir haben damals vieles unterschätzt.
SN: Eines Ihrer Bücher heißt „Abstieg zum Erfolg“. Wie erlösend ist es, einen Gipfel zu erreichen? Oben anzukommen ist ein Höhepunkt, weil die Schinderei aufhört.
Jeder Schritt nach unten macht es leichter, jeder nach oben schwerer. Oft liest man ja, dass jemand „mit letzter Kraft“den Gipfel erreicht hat. Da frage ich mich: Wie sind die dann nach unten gekommen? Der Gipfel ist im Großen und Ganzen nur die Hälfte des Weges. Genugtuung, Freude kam bei mir erst, wenn ich unten war, rasten konnte und die Erinnerung kam.
SN: Auf dem Berg scheinen Sie große Freiheit und Selbstbestimmung zu spüren. Wie schwer tun Sie sich im Tal? Das ist tatsächlich ein großes Problem. Ich war 25 Jahre in diesem alpinen Wettlauf. Meine Ex-Frau hat mir einmal beim Frühstück gesagt: „Hans, ich hab in der Zeitung gelesen, du brichst wieder auf zum K2 auf.“
SN: In der Zeitung? Ja, da hab ich gemerkt, wie egoistisch man ist – und wohl auch sein muss. Wir haben damals auch ein unbeschreibliches Risiko auf uns genommen, Wer das nicht zugibt, lügt. Ein Restrisiko ist immer da. Aber wir sind oft gezielt ganz nahe ans Limit gegangen.
SN: Und wie war das Zurückkommen? Dass ich mir schwertue nach dieser extremen Eigenverantwortung auf dem Berg, merke ich schon auf dem Flugplatz. Da siehst du dann nur mehr Regeln und Schilder, die alles in enge Bahnen leiten. Das nervt mich. Ich hab wohl auch zwei Geister in mir, von denen der unten im Tal auch sehr undiszipliniert ist.
SN: Hat sich dieser Zustand im Lauf der Jahre denn nicht geändert? Ruhiger bin ich sicher geworden. Aber weg ist das nicht. Auf dem Berg bist du aufs Wesentliche konzentriert. Im Tal gibt es unendlich viel Geschwätz, viel Wischiwaschi. Wir werden auch immer bequemer. Ich bin dafür, die Menschen weniger mit Regeln zu überladen und sie zu mehr Eigenverantwortung anzuhalten. Wenn heute einer auf dem Gehsteig ausrutscht, bekommt die Gemeinde die Schuld. Aber da muss man doch die Einsicht haben und sagen: „Da hätte ich schon selbst die Augen aufmachen müssen.“
SN: Woher kommt diese Grundhaltung? Das ist vielleicht Resultat der Kindheit. Ich musste ganz selbstverständlich Dinge tun – etwa in steilen Wiesen mähen –, bei denen uns nur gesagt wurde: Seid vorsichtig! Also haben wir gelernt, denn wir wussten: Wer ausrutscht, ist weg. Wenn das heute jemand Kinder tun ließe, dann landen die Eltern im Gefängnis.
SN: Sind wir als Gesellschaft zu behütet, zu kontrolliert? Ja, das glaube ich. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass wir das Verhältnis zur Natur verlieren. Ich bin geprägt durch die Berge, von einem durchaus harten Leben. Das hat mir früh gezeigt, wie wichtig Eigenverantwortung ist.
SN: Wie oft haben Sie denn nicht aufgepasst? Als ich jung war, habe ich den Schutzengel öfter gebraucht. Ich war risikofreudig, ein Wahnsinn. Im Lauf der Jahre änderte sich das, weil man Gefahren schneller sieht und besser reagiert. Wenn ich umdrehen muss, dann sehe ich das nicht mehr problematisch.
SN: Sie erzählen unter anderem oft von der Schönheit der
Landschaft. Lässt sich die Schönheit der Natur bei Expeditionen überhaupt erkennen? Im Moment, als ich in den alpinen Wettlauf reingegangen bin, habe ich vielfach nur Gipfel und Wände gesehen. Das war für mich immer nur ein Wettlauf. Andererseits fühle ich mich auch privilegiert, überhaupt die Möglichkeit gehabt zu haben, das alles tun zu können.
SN: Gab es gar kein Glück, immer nur Leistung? Es gab kurze Momente, Das Glücksgefühl auf dem Mount Everest 1996 nach dem Soloaufstieg und vor der Abfahrt mit den Ski, war groß und fast wie in der Jugend, wenn ich auf einen Gipfel kam.
SN: Wie ist es jetzt? Die Wettläufe sind ja vorbei. Oh ja, das ist vorbei. Ich habe eine zehnjährige Tochter, deren Geburt auch den Blick auf die Berge geändert hat, ich kann auch keine Grenzen mehr sprengen und will das auch nicht mehr. Ich sehe Wände mittlerweile ganz anders.
Und es ist bestimmt nicht mein Ziel, irgendwann als ältester Mensch auf dem Mount Everest zu stehen. Es ist lächerlich, wenn alte Idioten sich mit den Jungen messen
wollen. Es war und ist immer so auf den Bergen und in den steilen Wänden, dass von hinten Neue, Bessere nachkommen. Ich bin als Junger auch den Alten davonlaufen.
Es geht mir nicht mehr darum, eine Leistung zu verkaufen, sondern darum, schöne Geschichten erzählen zu können. Stärker wird man ja nicht, aber vielleicht ein bisschen gescheiter, und wenn man immer auch einen Rest des Kindseins behält, ist alles gut.
SN: Ein Thema im Film ist auch Ihr Autounfall im Jahr 2013. Sie fuhren alkoholisiert und ein junger Mann starb. Sie werden dazu eindringlich von Werner Herzog befragt. Sie beginnen fast zu weinen. Ja, das war schwer, sehr schwer auszuhalten, auch wenn ich es jetzt auf der Leinwand sehe. Andererseits ist es einfach so, dass ich zu dem stehen muss, was ich da getan habe. Es war der allergrößte Fehler meines Lebens. Da liegt eine Schuld auf mir, die nicht weggeht.
SN: Wie ist es mit der Schuld auf dem Berg? Sucht man die auch, wenn Kollegen sterben? Die Expeditionskollegen, die ich verloren habe, waren selbstständige Bergsteiger. Du leidest und trauerst. Aber da gebe ich mir keine Schuld. Wir wussten immer, dass es keine asphaltierte Straße ist, auf der wir uns bewegen.
Im Tal ist es etwas ganz anderes. Da bleibt eine Belastung, eine Schuld, die vor Gericht durch ein Urteil geregelt wird, die aber in mir nicht verschwindet. Nie.
SN: Wie gehen Sie damit um, dass Sie einst Held waren und vor allem in Ihrer Heimat Südtirol nach dem Unfall sehr tief gestürzt sind? Dass man uns als Vorbild hinstellt, habe ich nie verstanden. Mutter Teresa war vielleicht Vorbild – aber doch nicht wir Extrembergsteiger. Ich kann mich nicht als Vorbild hinstellen lassen, wenn ich Kopf und Kragen riskiere, um so schnell wie möglich auf den Everest zu kommen. Da sind wir eher Idioten und keine Vorbilder. Keiner, dessen Tun aus einem lebensbedrohlichen Risiko besteht, darf sich als Vorbild verstehen.