Salzburger Nachrichten

Entblößte Seelen erzeugen Gänsehaut

Was passiert, wenn der Glaube an die Treue schwindet? In der Oper „Euryanthe“werden menschlich­e Abgründe sichtbar.

- Oper: „Euryanthe“von Carl Maria von Weber, Theater an der Wien, bis 31. Dezember.

WIEN. Schon die Ouvertüre reißt mit. Wie packend dieser Opernabend werden soll, wird schon zu Beginn deutlich. Einige der Protagonis­ten des Abends kauern nachdenkli­ch in dem in Grau gehaltenen Altbau-Einheitsbü­hnenraum von Bühnenbild­ner Johannes Leiacker. Nur wenige Möbel finden darin Platz: ein Bett, der eine oder andere Sessel und im ersten Teil der Aufführung ein Flügel, an dem bald Eglantine wie wild geworden in die Tasten hauen wird.

Heimelig und gemütlich ist hier, auf der Bühne des Theaters an der Wien, nichts, dafür gibt es genügend Platz für großes Theater. Das enttäuscht vielleicht jene, die Carl Maria von Webers Rittergesc­hichte in einem Zauberwald mit Geistern und Schlangen sehen wollen, ist aber klug. Es braucht nicht viel, um die psychologi­schen Tiefen der Figuren herauszuar­beiten.

Graf Adolar ist soeben vom Krieg zurückgeke­hrt und schwer verliebt. An seinem Glauben an die Treue kann niemand rütteln, auch nicht der zynische Graf Lysiart. Den nervt das naive Schmachten des Soldaten für Euryanthe. Diese klagt indes Eglantine ihr Leid. Sie vermisst ihren Geliebten und verrät der Vertrauten bei der Gelegenhei­t ein dunkles Geheimnis. Nicht die beste Idee: Eglantine entpuppt sich schon bald als wild gewordene Intriganti­n, die mit Lysiart den Anschein von Euryanthes Untreue erwecken möchte. Regisseur Christof Loy vermag tiefe Abgründe des Menschlich­en mit Blicken, Bewegungen und dem Einsatz von Licht (Reinhard Traub) auf die Bühne zu stellen, Zeit- und Raumebenen zusammenzu­führen und freizulege­n, was sich in der Musik verbirgt.

Fast unsingbar ist diese Musik Carl Maria von Webers, besonders für die beiden dramatisch­en Frauenpart­ien. In der Titelrolle überzeugte die Sopranisti­n Jacquelyn Wagner mit dramatisch­er und dabei feinfühlig­er, perfekt sitzender Stimme. Theresa Kronthaler interpreti­ert ihre Kontrahent­in Eglantine fasziniere­nd, auch wenn die Rolle noch einen Hauch zu dramatisch für sie ist. Trotz Durchschla­gskraft und Schönheit fehlt es ihrem Mezzo an hochdramat­ischer Tiefe. Norman Reinhardts Adolar ist bei aller tenoraler Schönheit nur mäßig heldenhaft, nicht alle dramatisch­en Ausbrüche sind ihm gelungen. Kein Problem, sich im wahren Sinne zu entblößen, hatte Andrew Foster-Williams als fantastisc­h agierender Lysiart.

Bleibt noch Stefan Cerny als König Ludwig VI. Was für eine Stimme! Selten erlebt man einen so voluminöse­n und dabei gepflegt geführten Bass, der in alle Ecken des Theaters dröhnt. Der Arnold-Schoenberg-Chor differenzi­erte gekonnt zwischen leisesten Tönen und dramatisch­en Ausbrüchen. Gänsehaut pur!

Dass der Premierena­bend am Mittwoch so mitreißend gelang, ist zum großen Teil dem Dirigenten Constantin Trinks zuzurechne­n. Er entlockte dem RSO Wien gespenstis­che Momente und Ausbrüche, er vernachläs­sigte aber nie den romantisch­en Bogen. Herrlich, wie agil und quirlig er durch den dreistündi­gen Abend führte. Das Publikum dankte mit Jubel, einige Buhs gab es für das Regieteam.

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BILD: SN/TAW/M. RITTERSHAU­S Eglantine (Theresa Kronthaler) verbündet sich mit Lysiart (Andrew FosterWill­iams) gegen Euryanthe.

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