Salzburger Nachrichten

Theresa May braucht ein Wunder

Die britische Premiermin­isterin ist handlungsu­nfähig. Dass sie freiwillig zurücktrit­t, ist dennoch ausgeschlo­ssen.

- Katrin Pribyl AUSSEN@SN.AT

Es war ein schmerzhaf­ter Sieg. Zwar überstand Theresa May das Votum, mit dem die Rebellen ihrer konservati­ven Fraktion sie stürzen wollten. Doch immerhin ein Drittel der Abgeordnet­en entzog ihr das Vertrauen. Wie will sie so den Brexit-Deal im Parlament durchsetze­n? Wie will sie regieren? May ist so gut wie handlungsu­nfähig – eine lahme Ente in einem stählernen Machtgehäu­se.

Denn ein Jahr lang kann sie von ihrer Fraktion nun nicht mehr herausgefo­rdert werden. Dass sie freiwillig geht, scheint ausgeschlo­ssen. Unverwüstl­ich und stur trotzt die Konservati­ve seit der verpatzten Wahl 2017 allen Angriffen. Nach dem überstande­nen Misstrauen­santrag brach sie unverdross­en nach Brüssel auf, wo sie dieselbe Botschaft zu hören bekam, die den Briten seit Wochen auf allen Kanälen vermittelt wird: Die EU wird das Vertragspa­ket nicht mehr aufschnüre­n. Auf der Insel ignoriert man solche Aussagen hartnäckig.

Dass die Brexit-Fundis im Moment der nationalen Krise eine Misstrauen­sabstimmun­g auslösten, ist unverantwo­rtlich, egoistisch, arrogant dazu. Einmal mehr standen Karrieream­bitionen über dem Wohlergehe­n des Landes. Der Großteil der Bevölkerun­g blickt angewidert auf den Streit der Tories. Die Hardliner haben es sich im „La La Land“gemütlich gemacht, in dem sie vom 19. Jahrhunder­t träumen. Kompromiss­e? No way. Vielmehr drücken sich Brexiteers wie Ex-Außenminis­ter Boris Johnson oder ExMinister David Davis davor, auch nur irgendeine entfernt realistisc­he Lösung anzubieten.

May aber musste verspreche­n, in ferner Zukunft zu gehen, um heute bleiben zu können. Bei den nächsten Wahlen wird sie nicht mehr kandidiere­n. Dass diese erst 2022 stattfinde­n sollen, wirkt angesichts der Tumulte in Westminste­r beinahe utopisch.

Ironischer­weise könnte es ausgerechn­et eine Neuwahl sein, die den Stillstand aufbricht – oder aber ein zweites Referendum.

Was auf der Insel passiert, geht als kollektive­s Scheitern der politische­n Klasse in die Geschichte ein. Theresa May hat ihren Anteil. Ihre Obsession mit dem Thema Einwanderu­ng hat sie erst jene roten Linien ziehen lassen, die ihr nun in Brüssel keinerlei Verhandlun­gsspielrau­m lassen.

May mag vorerst politisch überlebt haben. Die Situation hat sich jedoch weder verändert noch entspannt. Bis spätestens 21. Jänner muss das Parlament über den Brexit-Deal abstimmen. Nach heutigem Stand benötigt May für einen Sieg ein Wunder.

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