Theresa May braucht ein Wunder
Die britische Premierministerin ist handlungsunfähig. Dass sie freiwillig zurücktritt, ist dennoch ausgeschlossen.
Es war ein schmerzhafter Sieg. Zwar überstand Theresa May das Votum, mit dem die Rebellen ihrer konservativen Fraktion sie stürzen wollten. Doch immerhin ein Drittel der Abgeordneten entzog ihr das Vertrauen. Wie will sie so den Brexit-Deal im Parlament durchsetzen? Wie will sie regieren? May ist so gut wie handlungsunfähig – eine lahme Ente in einem stählernen Machtgehäuse.
Denn ein Jahr lang kann sie von ihrer Fraktion nun nicht mehr herausgefordert werden. Dass sie freiwillig geht, scheint ausgeschlossen. Unverwüstlich und stur trotzt die Konservative seit der verpatzten Wahl 2017 allen Angriffen. Nach dem überstandenen Misstrauensantrag brach sie unverdrossen nach Brüssel auf, wo sie dieselbe Botschaft zu hören bekam, die den Briten seit Wochen auf allen Kanälen vermittelt wird: Die EU wird das Vertragspaket nicht mehr aufschnüren. Auf der Insel ignoriert man solche Aussagen hartnäckig.
Dass die Brexit-Fundis im Moment der nationalen Krise eine Misstrauensabstimmung auslösten, ist unverantwortlich, egoistisch, arrogant dazu. Einmal mehr standen Karriereambitionen über dem Wohlergehen des Landes. Der Großteil der Bevölkerung blickt angewidert auf den Streit der Tories. Die Hardliner haben es sich im „La La Land“gemütlich gemacht, in dem sie vom 19. Jahrhundert träumen. Kompromisse? No way. Vielmehr drücken sich Brexiteers wie Ex-Außenminister Boris Johnson oder ExMinister David Davis davor, auch nur irgendeine entfernt realistische Lösung anzubieten.
May aber musste versprechen, in ferner Zukunft zu gehen, um heute bleiben zu können. Bei den nächsten Wahlen wird sie nicht mehr kandidieren. Dass diese erst 2022 stattfinden sollen, wirkt angesichts der Tumulte in Westminster beinahe utopisch.
Ironischerweise könnte es ausgerechnet eine Neuwahl sein, die den Stillstand aufbricht – oder aber ein zweites Referendum.
Was auf der Insel passiert, geht als kollektives Scheitern der politischen Klasse in die Geschichte ein. Theresa May hat ihren Anteil. Ihre Obsession mit dem Thema Einwanderung hat sie erst jene roten Linien ziehen lassen, die ihr nun in Brüssel keinerlei Verhandlungsspielraum lassen.
May mag vorerst politisch überlebt haben. Die Situation hat sich jedoch weder verändert noch entspannt. Bis spätestens 21. Jänner muss das Parlament über den Brexit-Deal abstimmen. Nach heutigem Stand benötigt May für einen Sieg ein Wunder.