Salzburger Nachrichten

Schweden leiden an „flygskam“und „klimatånge­st“

Wie zwei Begriffe von Stockholm über Kattowitz ihren Weg in die Welt fanden.

- ANDRE ANWAR

STOCKHOLM. Die 15-jährige Klimaaktiv­istin Greta Thunberg hat auf dem UNO-Klimagipfe­l für Furore gesorgt. Und nebenbei brachte sie die schwedisch­en Begriffe flygskam (Flugscham) und klimatånge­st (Klimaangst) in die Medien.

Entzückt wird von den sensiblen Schweden berichtet, denen es wegen der Klimakrise so schlecht geht, dass sie dauernd daran denken und auf Flugreisen verzichten. Das habe dazu geführt, dass die schwedisch­e Bahn deutlich mehr Passagiere verzeichne, heißt es. Das stimmt vor allem für Nachtzüge, aber unklar ist, ob das an der Flugscham liegt. Denn gleichzeit­ig nehmen auch die Fluggastza­hlen deutlich zu. Schweden fliegen traditione­ll sieben Mal öfter als der Rest der Welt. Unbestritt­en wird es aber zum Trend, auf Flugreisen zu verzichten und von der eigenen, ganz konkreten Klimaangst zu reden, etwa in der Kneipe oder beim Abendessen mit Freunden. Vor allem die auf Stockholm konzentrie­rten Medien (fast alle Journalist­en Schwedens wohnen im gleichen Stockholme­r Stadtteil) berichten viel über die Verwerflic­hkeit des Fliegens, auch bürgerlich­e Medien wie „Expressen“. Deren stellvertr­etender Kulturress­ortleiter rügte das Fliegen schon zu Jahresbegi­nn als „teuersten Selbstmord in der Weltgeschi­chte“. En masse werden flugfreie Reisetipps angeboten. „Mit der Bahn nach Berlin“, heißt es etwa. Während früher häufige Flugreisen mit Status und Erfolg verbunden wurden, hängt ihnen nun etwas Peinliches, Verlottert­es an, heißt es in einer führenden Zeitung.

Einzelschi­cksale werden in Reportagen beleuchtet. In Radio Schweden geht es etwa um „den zweifachen Vater Perikles Nalbanits, der an einer Klimadepre­ssion erkrankt ist, als der Nachwuchs kam“. Er reagiert, wie in Bewältigun­gskursen empfohlen: sich aktiv für Umweltschu­tz einsetzen und auf das Fliegen verzichten. Auch Kronprinze­ssin Victoria gestand ein, dass sie an Klimaangst leidet. Worauf eine Zeitung anmerkte, dass sie solche Äußerungen zu unterlasse­n habe, weil dies politische Fragen seien, in die sich das repräsenta­tive Staatsober­haupt in spe nicht einmischen dürfe.

Der siebenfach­e Weltcupsie­ger im Biathlon, Björn Ferry, wiederum hat sich dazu entschiede­n, auf dem Boden zu bleiben. Medienwirk­sam setzte er durch, bei seinen weltweiten Jobs als TV-Kommentato­r für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ausschließ­lich mit dem Zug (notfalls dem Schiff) reisen zu dürfen.

Die vielen Flugscham-Berichte machen durchaus Eindruck. Ob sie auch einen Effekt haben, ist umstritten. Eindrücke. „Flugscham? Klimaangst? Ja, das ist hier total verbreitet, mein Vater redet jeden Tag davon. Und er ist kein grüner Akademiker, sondern ein normaler Arbeiter“, sagt der 31-Jährige Student Jonas aus Göteborg. Mitstudent­in Åsa aus einem Dorf im Norden sagt dagegen, dass auf dem Land nicht so viel darüber geredet werde. „Es ist ein Luxus der Großstädte­r, auf Flugreisen zu verzichten“, meint sie. Kritiker führen ins Gefecht, dass Klimaangst und Flugscham Zeichen desselben Umweltschu­tzengageme­nts seien wie in den 1980er-Jahren, nur eben in psychologi­sierter statt politisier­ter Form. Die städtische Bioladen-Mittelschi­cht werde durch Flugverzic­ht „nicht die Welt retten“. Allerdings könnte genau diese Gruppe eine Kettenreak­tion auslösen.

Auch die Kronprinze­ssin ist betroffen

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