May strapaziert die Geduld
Langsam macht sich Frust bei den EU-Staats- und Regierungschefs breit. Dafür gab es viel Lob für Österreichs Vorsitzführung: „Vielen Dank, Sebastian!“
BRÜSSEL. Die stumme Szene aus dem Sitzungsraum, die zu Beginn des zweiten Gipfeltags über die großen TV-Schirme des Pressezentrums flimmerte, war bezeichnend. Sie zeigte Premierministerin Theresa May, wie sie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker offenbar Vorhaltungen macht. Dabei ging es, wie sie später auf Nachfrage sagte, um dessen Aussagen vom Vortag: Die Diskussion sei „mitunter nebulös und unpräzise“, hatte er geklagt. Juncker stellte klar, er habe nicht sie persönlich gemeint, sondern die Debatte im britischen Unterhaus. Nachdem er May das erklärt habe, „hat sie mich geküsst“. Wie auch immer. Es ist spürbar, dass die EU-Kollegen langsam die Geduld mit May und den Wirren der britischen Innenpolitik verlieren. „Wir werden nicht Gipfel auf Gipfel auf Gipfel machen.“So brachte es Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel auf den Punkt. Denn der EUGipfel am Donnerstag und Freitag, der letzte unter Österreichs Präsidentschaft, brachte wieder keinen formellen Abschluss der Brexit-Verhandlungen. Ziemlich sicher muss im Jänner der nächste Sondergipfel zum Thema abgehalten werden.
May war mit dem Wunsch nach rechtsverbindlichen Zusagen der EU-27 im Zusammenhang mit der Notfallklausel (Backstop) für die irische Grenze nach Brüssel gekommen. Ihre Kritiker befürchten, der Backstop könnte Großbritannien ewig an die EU binden. Er sieht eine Zollunion zwischen dem Königreich und der EU vor, solange keine andere Lösung gefunden ist, die eine harte Grenze zwischen dem EUMitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermeidet.
May bekam eine Erklärung, wonach die EU den Backstop keinesfalls als dauerhafte Lösung wolle. Der Austrittsvertrag, das machten alle 27 Staatenlenker klar, werde aber nicht wieder aufgeschnürt.
Wenig überraschend war das den Brexit-Hardlinern in der Heimat nicht genug. In der britischen Presse war die Rede davon, May sei „gedemütigt“worden.
Großes Lob gab es von EURatspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker für den österreichischen Ratsvorsitz. Juncker sagte, Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe „konsequent, umsichtig, zuhörend und einfühlend“gearbeitet. „Das kann man nicht von allen Vorsitzen sagen.“Tusk sprach von einer „energiegeladenen und fokussierten“Präsidentschaft. „Die Ergebnisse sprechen für sich selbst“– „Vielen Dank, Sebastian!“
„Konsequent, umsichtig, zuhörend.“Jean-Claude Juncker