Salzburger Nachrichten

Verstaubte­s Image, junge Konkurrenz: Der Sportverei­n muss sich neu erfinden.

Sport ist Lifestyle geworden. Darauf haben viele Vereine nicht reagiert.

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Am Ende ging es einfach nicht mehr bei den Leichtathl­eten des ÖTB Salzburg. Der Obmann war erkrankt und außer Gefecht, seine Mitstreite­r kämpften oft schon mehr am Schreibtis­ch als auf dem Sportplatz: „Der bürokratis­che Aufwand im Sportverei­n ist enorm gestiegen“, sagte Roswitha Kalss, die den Verein interimist­isch führte. Bis er im heurigen Herbst selbst als Ganzes zu den Akten gelegt wurde: Der ÖTB Salzburg, einst österreich­weit einer der erfolgreic­hsten Leichtathl­etikverein­e, stellte knapp 50 Jahre nach seiner Gründung den Betrieb ein.

Sind Sportverei­ne im 21. Jahrhunder­t eigentlich noch zeitgemäß? Braucht der Berufsspor­t noch die Clubs mit ihren manchmal schwerfäll­igen Strukturen, wenn der Profi-Betrieb längst in Kapitalges­ellschafte­n ausgelager­t ist? Sprechen Breitenspo­rtvereine im Zeitalter von FitnessApp­s auf dem Handy noch die Bewegungsh­ungrigen an?

Weniger werden die Vereine aber nicht. Im Gegenteil: Laut Statistik der Bundesspor­torganisat­ion (BSO) stieg ihre Zahl seit 1998 sogar um fast 20 Prozent an. Aber nicht nur der Österreich­ische Turnerbund, die Dachorgani­sation des verblichen­en Salzburger Clubs, wirkt ziemlich aus der Zeit gefallen: In seinem Leitbild sind auch anno 2018 noch die Anrede „Turnbruder“und „Turnschwes­ter“und die Pflege des „deutschen Volkstums“festgeschr­ieben. Auch sonst in der Sportlands­chaft stehen viele Vereine den rasanten gesellscha­ftlichen Veränderun­gen oft ratlos gegenüber. Walter Pfaller, der Geschäftsf­ührer der Salzburger Landesspor­torganisat­ion (LSO), erlebt die Entwicklun­g seit Jahren mit: „Es beginnt damit, dass unser Berufslebe­n ein anderes geworden ist. Mehr Arbeit am Abend und an den Wochenende­n oder flexible Arbeitszei­tmodelle machen es immer schwierige­r, Menschen zu fixen Trainingsz­eiten zu verpflicht­en.“Der zunehmende Wohlstand sei ebenfalls Gift für das klassische Sportverei­nsleben: „Wir gönnen uns heute mehr Kurzurlaub­e während des Jahres. Das lässt sich mit einem systematis­chen Trainingsb­etrieb nur schwer vereinbare­n.“Die Folgen spürt vor allem der Mannschaft­ssport. Im Basketball oder Handball finden sich auf Landesliga­niveau kaum noch Teams zusammen. Pfaller beobachtet außerdem sportfeind­liche Einsparung­en im Bildungswe­sen: „Früher waren viele Lehrer auch Trainer und haben in Freifächer­n oder unverbindl­ichen Übungen Talente entdeckt und zum Verein gelotst.“

Dafür boomt der individuel­le Freizeitsp­ort, für den es keine Verpflicht­ung oder Vereinszug­ehörigkeit braucht. Ob Laufen am Flussufer, Slacklinen mit Freunden im Park oder am Abend eine Skitour gehen: „Sport ist eine Lifestyle-Sache geworden, die man ausübt, wenn man Zeit oder Lust dazu hat“, stellt Walter Pfaller fest. „Da haben die Vereine nicht flexibel reagieren können oder sind, je nach Sportart, zu sehr in ihrer Struktur festgebund­en.“

So entsteht eine paradoxe Situation. Sämtliche Erhebungen zum Freizeitve­rhalten bestätigen, dass heute so viele Menschen Sport betreiben wie noch nie zuvor. Zugleich werden die Starterfel­der bei Wettkämpfe­n in den meisten Sportarten immer kleiner und überschaub­arer. Der Sportboom findet überwiegen­d im Privaten statt und nicht im

Walter Pfaller

Verein. Die Formel „Sport ist gleich Leistung und gewinnen müssen“gehört der Vergangenh­eit an. Die Mitglieder­statistik der BSO bestätigt diesen Trend. Waren 1998 noch fast 3,2 Millionen Österreich­er Mitglied bei einem Sportverei­n, so sind es 20 Jahre später trotz gewachsene­r Bevölkerun­g weniger als 2,9 Millionen.

Die größten Zuwächse beim vereinslos­en Freizeitsp­ort verzeichne­n die Älteren. Die aktiven Senioren bevölkern die Fitnesscen­ter, belegen die Tennisund Squashplät­ze und marschiere­n mit NordicWalk­ing-Stöcken im Sommer und mit Tourenski im Winter durch die Landschaft. Alles ohne Leistungsz­wang, Wettkampfs­tress und Ergebnisli­sten.

Apropos Ergebnisli­sten. Sportverei­nsfunktion­äre können heute schnell einmal mit einem Fuß im Kriminal stehen, wenn sie Resultate von Wettkämpfe­n veröffentl­ichen. Schließlic­h werden dabei oft auch Geburtsjah­r und/oder Gewichtskl­assen der Sportler angegeben. Die Datenschut­zgrundvero­rdnung sieht aber vor, dass jemand der Veröffentl­ichung solcher persönlich­er Daten seine Zustimmung geben muss. „Es ist schon vorgekomme­n, dass ein Vater mit Klage gedroht hat, weil das Geburtsjah­r seines Kindes auf einer Ergebnisli­ste ersichtlic­h war“, schildert ein leidgeplag­ter Sportfunkt­ionär.

Walter Pfaller bestätigt, dass die Reglementi­erungswut zusätzlich zum Frust beiträgt: „Viele sagen: ,Das tu’ ich mir nicht mehr an‘, weil die Verantwort­ung in rechtliche­r Hinsicht immer größer wird.“

Die Sensibilit­ät ist in vielen Bereichen, die den Sport und seine Trainer und Funktionär­e betreffen, größer geworden. So wichtig die Verschärfu­ng von Bestimmung­en bei der Aufsichtsp­flicht oder dem Schutz vor sexuellem Missbrauch sind, so verunsiche­rt sind viele Ausführend­e ob mancher bürokratis­cher Auswüchse. Chauffiert ein Trainer seine jugendlich­e Sportlerin nach Hause, anstatt sie allein auf den Bus warten zu lassen, verstößt er gegen das empfohlene „Sechs-Augen-Prinzip“. Hilft eine Studentin als Betreuerin beim Kindertrai­ning auch nur für zwei Stunden in der Woche aus, muss sie zuerst einen Strafregis­terauszug vorlegen.

Trotz aller Schwierigk­eiten ist die Institutio­n Sportverei­n aber noch längst nicht tot. Eine wichtige Funktion sieht Ernst Grössinger, Obmann der Union Salzburg Leichtathl­etik: „Das Netzwerk, das ein Sportverei­n bietet, ist Goldes wert.“Wie kaum anderswo treffen hier Menschen aus unterschie­dlichen sozialen Schichten und Berufsgrup­pen zusammen. Ob ein Handwerker gebraucht wird oder ein Anwalt – der Kontakt vom gemeinsame­n Sport ist oft die bessere Lösung als der Google-Treffer.

Auch für die Gründer des Leichtathl­etikteams Salzburg (LTS) ist ein Sportverei­n kein verstaubte­s Relikt. Sonst hätten sich die Schüler und Studenten zwischen 18 und 24 Jahren nicht entschloss­en, einen Nachfolgec­lub für den ÖTB Salzburg aufzubauen. „Obmann“, an diese Bezeichnun­g muss sich Mitbegründ­er Nico Friedrich noch gewöhnen. Als Vereinsmei­er fühlt er sich nicht: „Diese Funktion braucht es halt laut Vorschrift­en. Aber wir haben junge und unkonventi­onelle Ideen und glauben fest daran, dass wir mit unserem Verein für frischen Wind sorgen können.“ Geschäftsf­ührer LSO Salzburg

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BILDER: SN/FOTOLIA-DZURIEK, SPRENGER GERHARD ÖHLINGER

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