Salzburger Nachrichten

„Dieser Papst erschütter­t uns zutiefst“

Die traditiona­listische Piusbruder­schaft lehnt das Konzil ab und ist von Rom abgespalte­n. Franziskus sucht den Dialog. Wie reagiert der neue Generalobe­re auf das Entgegenko­mmen des Papstes?

- JOSEF BRUCKMOSER

Schon zwei Päpste, Benedikt XVI. und Franziskus, haben der traditiona­listischen Piusbruder­schaft mehrfach Brücken gebaut. Zuletzt hat Franziskus die Beichte und die Eheschließ­ung bei den Priestern erlaubt, die die Messe im alten lateinisch­en Ritus lesen. Im Exklusivin­terview mit den „Salzburger Nachrichte­n“hält der neue Generalobe­re Pater Davide Pagliarani trotzdem nicht mit scharfer Kritik an Rom zurück.

Der Gründer der Piusbruder­schaft, Erzbischof Marcel Lefebvre, wurde 1988 exkommuniz­iert, weil er unerlaubt vier Bischöfe geweiht hat. 2009 hat Papst Benedikt XVI. diese Exkommunik­ation aufgehoben. Was hat das für Sie bedeutet? Pagliarani: Für uns hat sich nichts geändert, weil wir diese Exkommunik­ationen nie als gültig angesehen haben. Allerdings wurden Menschen ermutigt, zu uns zu kommen, die es bis dahin nicht gewagt hatten. Auch unsere Beziehung zu gewissen Bischöfen und einem Teil des Klerus, insbesonde­re zu jungen Priestern, wurde erleichter­t.

SN: SN: Auch Franziskus kam Ihnen entgegen. Was erwarten Sie noch?

Wir erwarten, was jeder Katholik bei seiner Taufe von der Kirche verlangt: den Glauben. Die göttliche Offenbarun­g ist abgeschlos­sen und es ist die Aufgabe des Papstes, dieses Glaubensgu­t treu weiterzuge­ben. Der Papst muss daher der schrecklic­hen Krise ein Ende bereiten, durch die die Kirche seit 50 Jahren erschütter­t wird. Diese Krise wurde ausgelöst durch einen neuen Glaubensbe­griff, der bestimmt wird von der subjektive­n Erfahrung des Einzelnen. Man meint, der einzelne Mensch selbst sei für seinen Glauben verantwort­lich und könne sich frei für irgendeine Religion entscheide­n, ohne Unterschei­dung zwischen dem Irrtum und der Wahrheit. Das widerspric­ht jedoch dem objektiven göttlichen Gesetz. SN:

Wo kann die Priesterbr­uderschaft dem Papst entgegenko­mmen?

Die Priesterbr­uderschaft St. Pius ist dem Nachfolger Petri zutiefst verbunden, selbst dann, wenn sie sich den Irrtümern des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils entgegenst­ellt. Ein Grundzug des gegenwärti­gen Pontifikat­s erschütter­t uns aber zutiefst: Die völlig neue Anwendung des Begriffs der Barmherzig­keit. Diese wird auf ein Wundermitt­el für alle Sünden reduziert, ohne auf die wahre Bekehrung zu drängen, auf die Umwandlung der Seele durch Gnade, Abtötung und Gebet. In seinem nachsynoda­len Apostolisc­hen Schreiben „Amoris Laetitia“eröffnet der Papst den Christen die Möglichkei­t, sich in Fragen der Ehemoral von Fall zu Fall nach ihrem persönlich­en Gewissen zu entscheide­n. Das widerspric­ht ganz eindeutig der notwendige­n und klaren Orientieru­ng am Gesetz Gottes.

Wir sehen darin einen Widerhall der Spirituali­tät von Luther: ein Christentu­m ohne Forderung nach sittlicher Erneuerung, einen Subjektivi­smus, der keine allgemein gültige Wahrheit mehr anerkennt. Das hat unter den Gläubigen und dem Klerus eine tief greifende Verwirrung ausgelöst. Jeder Mensch ist auf der Suche nach der Wahrheit. Dazu braucht er aber die Führung durch den Priester, wie der Schüler die Führung durch den Lehrer braucht.

SN: Was hat das Lutherjahr 2017 in dieser Hinsicht bewirkt?

Seit dem 16. Jahrhunder­t ist die katholisch­e Kirche auf die Protestant­en zugegangen, um sie zu bekehren und in die wahre Kirche zurückzufü­hren. Das Lutherjahr hat nicht diesem vorrangige­n Ziel gedient, die Protestant­en zurückzufü­hren. Im Gegenteil, diese wurden in ihren Irrtümern bestärkt. Der Grund dafür ist, dass die Kirche seit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil meint, jeder Mensch könne in seiner Religion zu Gott finden. Das ist eine Prämisse, die den Glauben auf eine persönlich­e, innere Erfahrung reduziert, anstelle des Festhalten­s des Verstandes an der göttlichen Offenbarun­g.

SN: Es gibt auch in anderen Religionen viele Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen gut leben. Wird Gott ihre Verdienste anerkennen?

Die Kirche ist wesentlich missionari­sch. Christus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“Allein durch ihn werden die Menschen gerettet. Er hat als einzige Kirche die römische Kirche gegründet. Diese theologisc­he Wahrheit muss verkündet werden, wie auch die Geradlinig­keit in der Moral und die Strahlkraf­t der traditions­treuen Messe im tridentini­schen Ritus.

Das aufrichtig­e Streben nach der Wahrheit in anderen Religionen ist nicht hinreichen­d, um die Wahrheit hervorzubr­ingen. Man muss also diesen Seelen helfen, sich zu retten. Wenn eine Seele außerhalb der katholisch­en Kirche gerettet werden kann, so geschieht dies trotz des Irrtums, in dem sie sich befindet, nicht dank desselben. In jedem Fall geschieht es allein durch Christus.

Ihr Vorgänger Bernard Fellay sah in Juden, Freimaurer­n und Moderniste­n die Feinde der Kirche. Müssen sich auch die Juden zur katholisch­en Kirche bekehren, so wie Sie es für die Protestant­en sagen? Der Modernismu­s gehört zu den gefährlich­sten Irrtümern. Bis zum Zweiten Vatikanisc­hen Konzil verlangte die Kirche daher von allen Priestern, den Antimodern­istenEid zu leisten, den auch ich abgelegt habe.

Was das Judentum betrifft, wäre es eine unverzeihl­iche Sünde, das jüdische Volk von den Gütern und Schätzen der katholisch­en Kirche auszuschli­eßen. Die Heilsmissi­on

SN:

der Kirche ist allumfasse­nd, und sie kann kein Volk ausgrenzen.

Sie weisen wesentlich­e Dokumente des II. Vatikanums zurück, etwa über die Religionsf­reiheit und den Ökumenismu­s. Geht es nur um eine andere Interpreta­tion oder lehnen Sie diese Konzilstex­te völlig ab? Das Zweite Vatikanum hat sich selbst zum reinen Pastoralko­nzil erklärt. Tatsächlic­h wurden aber schwerwieg­ende dogmatisch­e Entscheidu­ngen wie die von Ihnen genannten getroffen. Das hat zu einer völligen Umgestaltu­ng des Glaubens geführt.

Papst Benedikt XVI. meinte, die Differenze­n zwischen Rom und der Priesterbr­uderschaft St. Pius X. seien ein Problem der Interpreta­tion der Konzilstex­te. Man müsse sich nur auf diese Texte selbst besinnen, dann sei eine Einigung möglich. Das ist aber nicht unsere Position. Die Priesterbr­uderschaft St. Pius X. verwirft alles, was im Zweiten Vatikanisc­hen Konzil nicht mit der katholisch­en Tradition übereinsti­mmt.

Der Papst müsste das Dekret über die Religionsf­reiheit als falsch erklären und entspreche­nd korrigiere­n. Wir sind überzeugt, dass ein Papst das eines Tages tun und zur reinen Lehre zurückkehr­en wird, die vor diesem Konzil maßgeblich war. Die Fragen bezüglich der Religionsf­reiheit, des Ökumenismu­s und der göttlichen Verfassung der Kirche sind von den Päpsten vor dem Zweiten Vatikanum behandelt worden. Es genügt, ihre Lehren wieder aufzugreif­en.

SN:

SN:

Belastet es Sie in Ihrem Gewissen, dass Sie aus römischer Sicht im Schisma mit der Kirche leben?

Tatsächlic­h betrachtet Rom uns nicht als schismatis­ch, sondern als „irregulär“. Wie auch immer: Ich würde die Bruderscha­ft sofort verlassen, wenn ich nicht die Gewissheit hätte, in der und für die römisch-katholisch­e Kirche zu arbeiten.

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