Winter, von langsam bis schnell
Der Chiemgau. Hier, vor den Toren Salzburgs, verläuft der Winter ruhiger. Dafür wächst der Genuss, ob beim Langlaufen, Wandern im Schnee oder an einer Wiege des Eisschnelllaufs.
Auf der Hemmersuppenalm oberhalb von Reit im Winkl ist die Welt noch einfach: Man kann entweder in der Hütte sitzen oder wandern. Am besten macht man es umgekehrt – und das zahlt sich wirklich aus, an einem sonnigen Wintertag gibt es kaum etwas Besseres als Bewegung an der frischen Luft. Schließlich sind wir hier in rund 1300 Metern Höhe auf dem ersten Premium-Winterwanderweg Deutschlands. Das bedeutet, dass mit einem Pistengerät ein breiter, nur sanft gewellter Weg gewalzt ist – wirklich komfortabel. Daneben verlaufen die Loipen für die Langläufer und die Skater. Den einzigen Lärm weit und breit verursacht man selbst: Der Schnee knirscht so richtig unter den Schuhen, denn bei zweistelligen Minustemperaturen ist ein flotter Schritt angesagt.
Es ist ein Wintertraum voll funkelnder Schnee- und Eiskristalle. Die Bäume tragen einen struppigen, weißen Pelz aus Eis, der mit jeder kalten Nacht noch wächst. Darüber wölbt sich ein strahlend blauer Himmel. Trotz der schneidenden Kälte gibt so ein Tag Berge, davon zehrt man eine Weile.
Der Name der Alm leitet sich von Hemmer ab, einem regionalen Mundartausdruck für den Weißen Germer. Dieses giftige Unkraut rühren auch die Kühe im Sommer auf der Alm nicht an. Aber jetzt deckt die weiße Pracht alles zu. Der Panoramaweg führt an der Annakapelle vorbei, die 1906 errichtet wurde, und bei guter Sicht ist auch der Chiemseeblick nach Norden in die Ebene sehr erhebend. Eine Stärkung auf der Hindenburghütte – benannt nach dem früheren deutschen Reichspräsidenten, denn sie wurde früher militärisch genutzt – kommt da gerade recht. Bergab geht’s auch mit dem Schlitten. Die vier Kilometer bis ins Tal sind dann auch wirklich nicht ohne – auf einer der längsten Rodelbahnen Deutschlands. Auf dem steilen Weg fahren nur die umgebauten Lastwagen für den Transport der Gäste zur Hütte, deren Abgase der einzige Wermutstropfen an diesem Tage sind. Die Alternative wäre ein rund zweistündiger Fußmarsch auf die Hütte. Für Autos ist am Parkplatz in Blindau Endstation.
Wer etwas Einsamkeit im verschneiten Bergwald sucht, ist beim Aufstieg zum Frillensee richtig. Bei unserem Besuch schluckte der puderleichte Schnee fast alle Geräusche. Heute ist der knapp 1000 Meter hoch gelegene Bergsee ein Ausflugsziel, doch im Schatten von Hochstaufen und Zwiesel ist es im Winter so kalt, dass sich dort die Einheimischen zum Eisschießen und Eislaufen treffen. Mehr als eineinhalb Stunden Sonne bekommt der Frillensee im Winter nicht ab. Er gehört zur Gemeinde Inzell, dem Ort mit der schnellsten Eisbahn Europas. „Ohne Frillensee hätte Inzell heute nicht den Stellenwert im Eisschnelllauf“, sagt Klaus Wagner, der interessierte Gäste hier gerne herumführt. Im Jahr 1960 wurde auf dem Frillensee der Weltrekord im Eisstock-Weitschießen mit 204,5 Metern erzielt. Später gab es Jahre mit so viel Schnee, dass die Durchführung von Bewerben immer schwieriger wurde. Denn mangels Zufahrt mussten alle zu Fuß gehen. Erst später wurde im Ort eine Eisanlage errichtet: Zuerst wurde Wasser auf eine Sandbahn im Freien aufgetragen, 1965 folgte die erste betonierte 400-Meter-Bahn. Bis zum Bau der Eisschnelllaufhalle – in Deutschland gibt es nur zwei andere, nämlich in Berlin-Hohenschönhausen und in Erfurt, in Österreich gar keine – dauerte es noch. Die Max-Aicher-Arena, benannt nach dem Bauunternehmer und Sponsor, wurde schließlich 2011 eröffnet – gleich mit einer Weltmeisterschaft. In knapp zwei Monaten, vom 7. bis 10. Februar, wird im „größten Kühlschrank von Inzell“wieder die Eisschnelllauf-WM ausgetragen. Bei Schlechtwetter, wenn es feucht ist und der Luftdruck niedrig, ist die Bahn am schnellsten. Für Normalsterbliche spielt das keine Rolle, doch auf der Bahn gibt es jeden Mittwochabend und Sonntagnachmittag Publikumslauf, auf dem Eishockeyfeld in der Mitte jeden Tag. Zu bestimmten Zeiten kann man sogar Eisschnelllauf probieren, mit langen Kufen zum Ausleihen, die mit einer Bindung an Langlaufschuhen befestigt werden.
Loipen gibt es viele, aber in Ruhpolding ist im Winter praktisch alles auf den Langlauf ausgerichtet. Bei entsprechender Schneelage sind 150 Kilometer Loipen gespurt, die Benützung ist gratis! Bekannt ist der Ort aber vor allem als Biathlon-Zentrum. Höhepunkt ist jedes Jahr der Weltcup, von 15. bis 20. Jänner 2019 wird es wieder brodeln in der Chiemgau-Arena. Das Stadion liegt in einem Tal, und wer die romantische Drei-Seen-Loipe in Angriff nimmt, kommt direkt am Biathlon-Mekka vorbei. Schon ohne Schnaufen beim Langlaufen ist das Schießen mit dem Kleinkalibergewehr eine Herausforderung, auch wenn Ex-Weltklasse-Biathletin Martina Seidl (früher Zellner) manchmal mit Tipps parat steht – aber das ist eine andere Geschichte.