Licht und Schatten der Koalition
Heute vor einem Jahr gaben ÖVP und FPÖ den Abschluss der Regierungsverhandlungen bekannt. Was ist gelungen? Was lief schief?
Glaubt man den Spitzen der Koalition, war Österreich noch nie mit einer so hervorragenden Regierung gesegnet wie derzeit. Glaubt man der Opposition, so ist die Bundesregierung schuld an Brexit, Migrationskrise und Klimawandel. Die SN versuchen eine nüchterne Analyse zum ersten Jahrestag der Regierung Kurz-Strache.
Das Positive
Der Unterschied zur „alten“SPÖÖVP-Koalition wird im Pressefoyer nach jeder Ministerratssitzung augenfällig: Die neue Regierung streitet nicht, sie spricht und arbeitet wie aus einem Guss. Und das mit enormem Fleiß. Was – wie Umfragen zeigen – von der Wählerschaft honoriert wird. Im Gegensatz zu dem von SPÖ und ÖGB getätigten „Spin“betreibt die neue Regierung keineswegs den Abbau des Sozialstaats. Als einer der ersten Schritte wurden die Sozialversicherungsbeiträge für Wenigverdiener gesenkt. Der Familienbonus bringt steuerzahlenden Paaren und Alleinerziehern mit Kindern ab 2019 echten Gewinn. Und selbst die Mindestsicherungsreform wird, wenn sie denn 2020 in Kraft tritt, unterm Strich nicht zu Einsparungen führen, sondern zu Mehrausgaben.
Hinsichtlich anderer Wohltaten der amtierenden Regierung werden die Wähler noch vertröstet, aber die Legislaturperiode ist ja noch lang. Meriten könnte sich die Koalition vor allem dann erwerben, wenn sie – wie von beiden Parteien im Wahlkampf angekündigt – die kalte Progression abschafft. Leise Zweifel sind angebracht. Denn selbst in der momentanen Phase der Hochkonjunktur und der sprudelnden Einnahmen ist nicht gewiss, ob es die Regierung geschafft hat, das Budgetdefizit bereits heuer auf null zu stellen. Wie sich da eine Steuersenkung ausgehen soll, ist ungewiss.
Stark vermittelt die Regierung das Gefühl einer systematischen Vorgangsweise, insbesondere bei der Staatsreform. Abgehakt ist bereits eine Reihe von Kompetenzbereinigungen zwischen Bund und Ländern, die schon oft versucht worden waren, aber nie das Stadium der Umsetzung erreichten. Die großen Brocken stehen noch aus, allen voran der Kernpunkt jedweder tatsächlich wirksamer Reform
SN-THEMA Ein Jahr türkis-blaue Regierung
im Gesundheitwesen – die Lösung des Kompetenzwirrwarrs im Spitalswesen. Schaut so aus, als stünde der plötzliche Eifer, ein nachhaltiges Pflegekonzept samt Finanzierung zu finden, im Zusammenhang mit diesem großen Brocken. Gesundheit und Pflege sind eng miteinander verknüpft, für beides will die Regierung 2019 eine Lösung finden. Gut möglich, dass es hier zu einem großen Tauschhandel kommt.
Auf der Habenseite steht ferner die geplante Errichtung eines Schoa-Denkmals in Wien, auf dem die Namen aller getöteten österreichischen Juden stehen sollen. Die Kosten wird fast zur Gänze der Bund übernehmen. Auch im Kampf gegen Antisemitismus verhielt sich die Regierung, allen voran die ÖVP, äußerst korrekt. Als symbolischer Akt sollen künftig auch Nachfahren von Holocaust-Opfern die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen können. Als Zeichen nach außen organisierte Österreich als EU-Vorsitzland im November eine Konferenz, die sich neben Antisemitismus auch ausdrücklich mit Antizionismus beschäftigte.
Positiv oder negativ sehen kann man, dass die Regierung von der sozialpartnerschaftlichen Konsenssuche abweicht. Sie entscheidet selbst. Die Sozialpartner können nicht mehr als Nebenregierung wirken – als solche haben sie zwar zweifellos viel weitergebracht, aber auch viel blockiert, weil sie selbst in noch so langen Verhandlungen auf keinen gemeinsamen Nenner kamen. Exemplarisch für eine dieser Nicht-Einigungen der jüngeren Vergangenheit steht der Zwölf-Stunden-Tag. Heute würden sich viele in der Sozialpartnerschaft wohl wünschen, sie hätten sich unter RotSchwarz noch geeinigt.
Das Negative
Im Wahlkampf war die direkte Demokratie noch ein viel gepriesenes Thema der beiden Regierungsparteien. Als das Don’t-Smoke-Volksbegehren 881.692 Stimmen sammelte, um ein von der Regierung gekipptes Rauchverbot zu fordern, ging man auf Abstand zur direkten Demokratie.
Die fast täglichen „Einzelfälle“, die auf ein ungeklärtes Verhältnis der FPÖ zu ihrem rechten Rand hindeuten, werfen einen Schatten auf die Arbeit der gesamten Regierung: Bundeskanzler Sebastian Kurz kommt kaum damit nach, zu den einschlägigen Affären seines Koali
tionspartners zu schweigen. Insofern ist die Bilanz des Gedenkjahres zwiespältig: Denn die Störfeuer aus den eigenen Reihen torpedierten das demonstrative „Niemals wieder“der blauen Parteispitze.
Für Störfeuer in einem der sensibelsten Bereichen im Staat sorgte der blaue Innenminister, der nach wie vor oft wie der Parteimanager agiert, der er einst war. Die Unruhe im heimischen Staatsschutz nach der – inzwischen für illegal erklärten – Razzia im Verfassungsschutz, bei deren Vorbereitung das neue Innenressort maßgeblich involviert war, ist nicht nur entbehrlich, sondern auch gefährlich. Gegen umstrittene Staatsschützer hätte man anders vorgehen können und müssen. Mit der Brechstange versuchte das Innenministerium auch, kritische Medien von der Öffentlichkeitsarbeit auszuschließen. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob sich der Innenminister bewusst ist, welchen Schaden er mit derartigen Aktionen der Demokratie zufügt.
Zu kritisieren ist auch eine Neigung zum Populismus, die der Regierung eigen ist. Die versprochene Milliarde, die durch die Sozialversicherungsreform eingespart werden soll, ist – wie auch Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker festgestellt hat – ein reines Fantasiegebilde. Das populäre Kopftuchverbot in Kindergarten und Volksschule wird als Einzelmaßnahme wenig bringen. Und auch beim Kampf gegen den politischen Islam und Extremismus stand der Aktionismus im Vordergrund: So wurde die Schließung von sieben Moscheen und die Ausweisung von 30 Imamen nicht nur exakt an jenem Tag groß verkündet, an dem der BVTU-Ausschuss startete. Kurz darauf waren auch alle Moscheen wieder offen und bisher musste erst ein Imam tatsächlich das Land verlassen. Hauptsache, es geht gegen Ausländer: Überall, wo gekürzt oder verschärft wird, trifft es in erster Linie Migranten und Flüchtlinge.
Vermisst wird von vielen ein Vorstoß zu mehr Transparenz darüber, was mit Steuergeldern passiert. Vom oft geforderten „gläsernen Staat“ist man weit entfernt. Nachdem die Vorgängerregierungen nichts weitergebracht haben, fehlt dieses Vorhaben im ÖVP-FPÖ-Regierungsplan ganz.