In Spanien fehlt der Nachwuchs
Die Spanier wollen keine Kinder bekommen. Das Land hat die niedrigste Geburtenrate der EU. Die Gründe dafür sind vielfältig.
MADRID. „Vom Babyboom zum Todesboom“, titelte die nationale Zeitung ABC über der unheilvollen Botschaft, dass in Spanien immer weniger Kinder zur Welt kommen. Die Folge: Spanien hat die niedrigste Geburtenrate der gesamten EU. „Die Spanier laufen Gefahr auszusterben“, witzelt Emilio Calatayud, ein populärer spanischer Jugendrichter aus Granada, der sich regelmäßig in gesellschaftliche Debatten einmischt. Er empfiehlt, nicht ganz ernst gemeint, drastische Maßnahmen, um die Lust auf den Nachwuchs anzukurbeln: „Um neun Uhr abends sollte man Fernseher und Internet abschalten, die Kneipen schließen und die Heizung abdrehen. Und dann, in zehn Monaten, werden wir ja sehen …“
Calatayud weiß natürlich, dass Spaniens Babykrise in Wirklichkeit andere Gründe hat. Familienforscher machen vor allem die Verarmung der jungen Generation für den Nachwuchsmangel verantwortlich: Hohe Arbeitslosigkeit, Dumpinglöhne, prekäre Jobbedingungen, das Fehlen bezahlbaren Wohnraums und einer staatlichen Familienförderung hätten dazu geführt, dass sich viele Paare keine Nachkommen leisten könnten. „Kinder sind zu einem Luxusgut geworden“, sagt die Bevölkerungswissenschafterin María Zúñiga.
Nach Angaben des staatlichen Statistikinstituts INE sank die Geburtenquote in Spanien im Jahr 2017 auf 1,31 Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter – ein historischer Minusrekord. Vor vier Jahrzehnten brachte jede Frau im Schnitt noch drei Kinder zur Welt. Spanien liegt deutlich unter dem EU-Schnitt von 1,6 Kindern. Und für das bald zu Ende gehende Jahr 2018 dürfte sich der Abwärtstrend fortsetzen.
Die Geburtenkrise löste auch in den sozialen Netzwerken Debatten aus, wo viele junge Spanier ihr Leid klagen. „Wie soll ich Kinder haben, wenn ich jetzt schon kaum über die Runden komme?“, fragt ein 33-Jähriger namens Vary auf Twitter. Er sei Akademiker, habe nur eine befristete Beschäftigung und verdiene weniger als 1000 Euro. Nutzer Hernán schreibt: „Ich bin 40, habe promoviert, bin aber inzwischen ohne Job, ohne Arbeitslosengeld und lebe von der Unterstützung meiner Eltern. Kinder? Ha, ha, ha.“
Schlechte Aussichten für Spaniens Zukunft, findet Ignacio García-Juliá, Präsident des spanischen Familienforums, in dem Hunderte lokale Sozialverbände organisiert sind. Er fordert die sozialistische Regierung auf, jungen Familien finanziell stärker unter die Arme zu greifen. In der Tat können die Spanier von üppiger staatlicher Familienförderung nur träumen: Als monatliches Kindergeld gibt es 24,25 Euro – auch für Familien mit weniger als 12.000 Euro Jahreseinkommen. Besser verdienende Familien bekommen bescheidene steuerliche Freibeträge: 1800 Euro für das erste und 2000 Euro für das zweite Kind. Frauen mit Beschäftigungsvertrag dürfen vier Monate bezahlten Mutterschaftsurlaub nehmen. Männer haben Anrecht auf fünf Wochen Vaterschaftsurlaub – auch wenn dies, aus Angst um die Karriere, so gut wie kein Mann nutzt.
Sollte sich trotzdem Nachwuchs einstellen, dann in Spanien meist erst, wenn die Mutter älter ist als 32. Auch damit zählt Spanien in der EU – mit Italien – zu den Schlusslichtern. Im Durchschnitt bekommen europäische Frauen, laut der EU-Statistikbehörde Eurostat, ihr erstes Kind mit 29 Jahren.
„Wie soll ich Kinder haben, wenn ich jetzt schon kaum über die Runden komme?“Twitter-Nutzer zur Baby-Krise