Von der Herkunft und der Wortwahl
Leserbrief zum Artikel „Wie Austrotürken wieder Österreicher werden“von Martin Kind in den SN vom 15. 12.:
Der Begriff „Austrotürken“ist – ebenso wie der Begriff „Deutschtürken“– nicht nur völkisch konnotiert, er ist darüber hinaus irreführend und einem gedeihlichen Miteinander in höchstem Maße abträglich.
Umso mehr verwundert es, dass in den SN vom 15. Dezember sogar Martin Kind, Experte für Einwanderungsrecht an der Universität Wien, diesen Begriff gänzlich unkritisch übernimmt. Während man nach landläufiger Meinung etwas besessen haben muss, um es verlieren zu können, ist laut Kind „in etlichen Fällen eingewanderten Türken die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt“worden, obwohl ein Türke doch höchstens die türkische Staatsbürgerschaft verlieren kann. Wenn Kind weiters von „Austrotürken, die die österreichische Staatsbürgerschaft […] rückwirkend verlieren“berichtet, so fällt dies aufgrund des jahrzehntelangen Sprachgebrauchs schon gar nicht mehr als Widerspruch auf.
Die grammatikalische Eindeutigkeit des Begriffs „Austrotürken“wird dabei genauso übersehen wie die dahintersteckende völkische Denkweise: Ein Türke, der die österreichische oder deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, wird diesem Verständnis zufolge nicht etwa Österreicher oder Deutscher. Nein, er bleibt Türke, ob nun als „Austrotürke“oder „Deutschtürke“spielt kaum eine Rolle. Das kommt völkischen Nationalisten sowohl im Entsendestaat als auch im Empfangsstaat zupass: Die ethnische Reinheit der Nation bleibt unbefleckt. Der türkische Staat hat weiterhin Zugriff auf „seine“Türken im Ausland, die „Biodeutschen“bleiben weiterhin unter sich. Mit unserem modernen, westlichen Nationsbegriff ist dieses letztlich menschenverachtende Nationsverständnis nicht in Einklang zu bringen. Nach österreichischem Verständnis – und die österreichische Nation ist eine „verspätete“und deshalb moderne Nation – wird ein Türke, der die österreichische Staatsbürgerschaft annimmt, Österreicher, gerne auch türkischstämmiger Österreicher. Punkt. Herkunft bedeutet nichts, Bekenntnis zu den Grundwerten unserer offenen Gesellschaft alles. Mag. Richard Müller, M.A.