1200 Jahre alte Glocke läutet
Das Nomadenvolk der Uiguren hatte vielfältige kulturelle Kontakte. Neue, ungewöhnlich gut erhaltene Funde in einem alten Herrschaftssitz in der Mongolei belegen dies.
Nomadenvölker haben vielfältige kulturelle Kontakte. Einen eindrucksvollen Beweis für solche kulturellen Einflüsse entdeckten deutsche Archäologen in einem alten Palast der Uiguren in der Mongolei. Ihr Herrschaftsbereich erstreckte sich vom Baikalsee bis in die Wüsten Ostturkestans. Unter ihrer Herrschaft bewegten sich Waren, Menschen und Ideen zwischen China, der mongolischen Steppe und Zentralasien.
Die Bezeichnung „Uiguren“bedeutet „vereint“und geht auf den Zusammenschluss verschiedener indoeuropäischer, turkstämmiger, wahrscheinlich auch mongolischer Volksgruppen zurück, die seit sehr langer Zeit in Zentralasien zu Hause sind. Im Jahre 744 hatten die Uiguren ein eigenes Königreich gegründet, das Uigurische Khaganat, das sich im Osten bis weit in die heutige Mongolei erstreckte.
Im 9. Jahrhundert wurden sie dort von den Kirgisen vertrieben und zogen sich wieder weiter nach Westen zurück.
Seit 2007 erforscht das Deutsche Archäologische Institut gemeinsam mit den mongolischen Partnerorganisationen, der mongolischen Akademie der Wissenschaften und der Nationaluniversität Ulaanbaatar die mehr als 1200 Jahre alte uigurische Hauptstadt Karabalgasun im Orchon-Tal, 27 km nordwestlich der Stadt Karakorum, die zwischen 1235 und 1260 Hauptstadt des Mongolischen Reichs war. Der Orchon ist die Lebensader der Region und seine Täler sind von alters her Nomadenland.
Im Sommer 2018 legten die Archäologen im Hof des Herrschaftssitzes einen etwa zwölf Meter tiefen und immer noch wasserführenden Brunnen frei. Seine hölzerne Konstruktion sowie zahlreiche Funde aus den unteren Schichten hatten sich hervorragend erhalten, was ungewöhnlich ist. Der Palast, die Zitadelle, war das Zentrum der ursprünglich über 35 Quadratkilometer großen Stadtanlage. Der zweite Khan des Uigurischen Reichs gründete sie Mitte des 8. Jahrhunderts. Nur hundert Jahre später zerstörten die mit den Uiguren verfeindeten Kirgisen die Stadt. Die Ruinen der Zitadelle überragen die Steppenlandschaft bis heute. Der quadratische Hügel ist bis zu zwölf Meter hoch. In einem Innenhof des Palasts stieß das Team auf den Brunnen: „Derartige Funde begegnen einem Archäologen vielleicht nur ein einziges Mal in seinem Berufsleben“, sagt DAI-Archäologe Hendrik Rohland. Eine sehr gut erhaltene bronzene Glocke mit chinesischer Inschrift, ein vergoldeter Türriegel, zwei marmorne Löwenköpfe sowie schwarz lackierte Holzstangen mit floralem Motiv zeugen von hoch entwickeltem Kunsthandwerk und internationalen Beziehungen des Nomadenvolks. Projektleiterin Christina Franken ergänzt: „Es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man eine Glocke, die 1200 Jahre auf dem Grund eines Brunnens gelegen ist, zum ersten Mal wieder klingen hört.“Einige Schöpfgefäße, die während der Nutzungszeit in den Brunnen gefallen waren, geben dem Forscherteam interessante Hinweise. Auf einem der Gefäße hatte der Töpfer das Siegel des zweiten uigurischen Herrschers eingeritzt.
Damit ist die Datierung des Brunnens in die Bauzeit der Stadt gesichert und der Nutzer des Palasts bestimmt. Im nassen Schlamm des Brunnens hatten sich auch organische Materialien erhalten. „Eine solche Nassbodenerhaltung im Siedlungskontext ist bislang nahezu einzigartig in der Mongolei“, erklärt Christina Franken.
Der Matsch enthielt neben fein bearbeiteten Holzgegenständen auch zwei runde, mehr als einen Meter lange lackierte Stangen. In den Lack hatte ein Kunsthandwerker Palmetten und ineinander verflochtene Bänder als Verzierung eingeritzt.
Normalerweise verrotten solche Objekte im Boden innerhalb weniger Jahrzehnte. Sie werden deshalb kaum auf Ausgrabungen gefunden. Deshalb sind die Funde von Karabalgasun ein besonderer Glücksfall für die Archäologen. Die Fundstücke machen deutlich, dass die Kunsthandwerker des uigurischen Herrschers Anregungen aus anderen Kulturen, insbesondere China, verarbeiteten.