Salzburger Nachrichten

Für die Steuerrefo­rm fehlen noch zwei Milliarden Euro

Wirtschaft­sforscher sprechen von einem „ambitionie­rten Ziel“der Bundesregi­erung. Denkbar wären Ausgabenkü­rzungen oder ein kurzfristi­g höheres Defizit, um den Spielraum zu erhöhen.

- WIEN.

Eine Entlastung im Ausmaß von fünf Milliarden Euro soll die von der Regierung für 2020 in Aussicht gestellte Steuerrefo­rm bringen. Aus Sicht von Wirtschaft­sforschern ist das ein überaus ambitionie­rtes Ziel. Der erwartete Budgetüber­schuss für 2019 allein dürfte dafür nicht reichen. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) rechnet mit einem Überschuss von 0,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, das sind rund 1,5 Milliarden Euro. Rechnet man den ab 2019 wirksamen Familienbo­nus in gleicher Höhe dazu – wie das Finanzmini­ster Hartwig Löger macht –, bleibt immer noch eine Lücke von zwei Milliarden Euro, um auf das angekündig­te Volumen von fünf Milliarden Euro zu kommen. Woher die kommen sollen, ist offen. „Da hat die Regierung eine große Herausford­erung vor sich“, sagt Wifo-Chef Christoph Badelt, der von einem „sehr ambitionie­rten“Vorhaben spricht. Vorstellba­r wären Gegenfinan­zierungen oder Einsparung­en, sagt er. Er sei aber „nicht in die Tiefen der Pläne des Finanzmini­sters eingeweiht“. Um ihren Spiel- raum zu erhöhen, könnte die Regierung auch „kurz ins Defizit gehen“, sagt der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), Martin Kocher. Das könnte freilich bei einer nachlassen­den Konjunktur zum Problem werden. Das IHS erwartet 2019 nur einen etwa halb so großen Budgetüber­schuss wie die Kollegen vom Wifo.

WIEN. Das Wirtschaft­swachstum in Österreich bleibt robust, es wird sich aber nächstes und übernächst­es Jahr gegenüber dem aktuellen Niveau etwas eintrüben. So lassen sich die aktuellen Prognosen des Instituts für Höhere Studien (IHS) und des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Wifo zusammenfa­ssen.

In Zahlen bedeutet das einen Rückgang der aktuellen Wachstumsr­ate von übereinsti­mmend erwarteten 2,7 Prozent auf 2,0 (Wifo) oder 1,7 Prozent (IHS) im kommenden Jahr. 2020 dürfte sich die Konjunktur noch einmal geringfügi­g darunter bewegen, auf 1,8 bzw. 1,6 Prozent, wobei auch diesmal das Wifo die höhere Schätzung abgibt.

Alarmstimm­ung sei angesichts der zu erwartende­n Entwicklun­g keineswegs angebracht, lautet der Grundtenor. Das Wifo bringt seine Botschaft so auf den Punkt: „Konjunktur­abkühlung auf hohem Niveau.“Er sehe Wolken aufziehen, sagt Wifo-Chef Christoph Badelt, „aber keine schwarzen“.

IHS-Chef Martin Kocher überträgt die Wirtschaft­slage auf die Kitzbühele­r Streif-Abfahrt, wenn er sagt, man befinde sich „keineswegs in der Mausefalle“, sondern allenfalls auf der Terrasse unter dem Hausberg. Die Gründe für die nachlassen­de Dynamik bringt das IHS so auf den Punkt: „Schwächere Welt- wirtschaft und hohe Unsicherhe­it bremsen heimische Konjunktur.“

Noch aber befinde sich Österreich­s Wirtschaft in der Hochkonjun­ktur. Mit den 2,7 Prozent Wachstum heuer sei die Wirtschaft­sleistung in Österreich stärker gewachsen als im Durchschni­tt des Euroraums. Allerdings habe der Produktion­szyklus seinen Höhepunkt bereits überschrit­ten. In der Folge würden Unternehme­n ihre Investitio­nstätigkei­t zurückfahr­en.

Gemischt sind die Einschätzu­ngen für den Arbeitsmar­kt. Die gute Nachricht: Stellenang­ebot und Beschäftig­ung weiten sich zügig aus. Parallel dazu sinkt die Arbeitslos­igkeit. Sie soll heuer übereinsti­mmend bei 7,7 Prozent liegen – deutlich unter den Schätzunge­n der Wirtschaft­sforscher vom Frühling 2017, die damals einen Wert um neun Prozent gesehen hatten.

Der Wermutstro­pfen dabei ist, dass die Arbeitslos­enquote nur langsam weitersink­en wird – auf 7,3 (Wifo)/7,4 (IHS) Prozent im nächsten und auf 7,2/7,4 Prozent übernächst­es Jahr.

Dass die Arbeitslos­enzahl weiterhin über 300.000 Personen liegen werde – samt Schulungst­eilnehmern sogar über 350.000 –, sei für Badelt ein Zeichen dafür, dass der Sockel an Arbeitslos­en jetzt höher sei als vor der Krise. „Das ist ein großes ökonomisch­es und soziales Problem.“

Für IHS-Chef Kocher deuten die zunehmende­n Rekrutieru­ngsproblem­e von Unternehme­n bei hoher Arbeitslos­igkeit „auf einen Mismatch zwischen den von Arbeitslos­en angebotene­n und von Unternehme­n nachgefrag­ten Qualifikat­ionen“hin.

Abhilfe schaffen müsse die Politik in Form von mehr und höherer Qualifizie­rung, die schon im Vorschulal­ter einsetzen müsse, sagt Badelt. Die Politik müsse dafür sorgen, dass mehr Menschen in ein höheres Bildungssy­stem kämen, einschließ­lich Flüchtling­en mit Asylstatus. Aber das seien letztlich politische Entscheidu­ngen, hielt der WifoChef fest.

Für die von der Regierung angekündig­te Steuerrefo­rm im Ausmaß von fünf Milliarden Euro vermissen die Wirtschaft­sforscher noch den dafür notwendige­n Spielraum im Budget. Aus den erwarteten Budgetüber­schüssen – 0,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s erwartet das Wifo 2019, das IHS rechnet mit der Hälfte – sollen 1,5 Milliarden Euro kommen. Finanzmini­ster Hartwig Löger will auch die 1,5 Milliarden

„Der Sockel der Arbeitslos­igkeit war vor der Krise niedriger.“

Euro für den Familienbo­nus für die Steuerrefo­rm anrechnen. Wifo-Chef Badelt sieht noch nicht, woher die auf die angekündig­te Gesamthöhe fehlenden zwei Milliarden kommen sollen. „Da hat die Regierung noch eine große Herausford­erung vor sich“, stellt er fest. Dieses Geld müsse erst „gefunden werden“, denkbar sei das in Form von Einsparung­en oder Gegenfinan­zierungen. IHS-Chef Kocher könnte sich kurzfristi­g eine Finanzieru­ng aus dem Budget vorstellen. Er fordert zusätzlich aber auch strukturel­le Reformen bei den Steuern ein, eine Vereinfach­ung sowie eine Abschaffun­g von Bagatellst­euern. Auch Unternehme­nssteuern gehörten entlastet, aber „zentraler Faktor muss die Entlastung des Faktors Arbeit sein“.

Kocher und Badelt sind sich grundsätzl­ich einig, dass die gute Konjunktur zur Umsetzung von Reformen genutzt werden sollte.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria