„Das empfinde ich als Chuzpe“
Was wurde aus dem angekündigten „heißen Herbst“? Wie geht es den heimischen Arbeitnehmern? Barbara Teiber, Vorsitzende der Angestelltengewerkschaft, gibt Auskunft.
SN: Die Gewerkschaften haben der Regierung einen „heißen Herbst“in Aussicht gestellt. Trotzdem zieht die Regierung ihre Vorhaben durch. Sind Sie gescheitert? Barbara Teiber: Keineswegs, denn unsere Aktivitäten haben dazu geführt, dass die Regierung bei einigen ihrer Pläne Änderungen vorgenommen hat. SN: Bei welchen? Im Sommer ist beispielsweise die Zerschlagung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt im Raum gestanden. Unsere Proteste, die öffentlichen Betriebsversammlungen und der Zusammenschluss mit der Zivilgesellschaft haben dazu geführt, dass die Regierung von diesem Vorhaben abgerückt ist und es die AUVA weiterhin gibt. Wenngleich es zu den geplanten Beitragssenkungen von 110 Millionen Euro kommt, die den Arbeitgebern geschenkt werden. SN: Gibt es weitere Beispiele? Denken Sie an die Proteste gegen das neue Arbeitszeitverlängerungsgesetz. Wir haben Hunderte Betriebsversammlungen veranstaltet, es gab eine Großdemo mit über hunderttausend Teilnehmern. Daraufhin kam der Passus ins Gesetz, dass es zu keinen Schlechterstellungen in Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträgen kommen darf. Wenn der ursprüngliche Gesetzestext in Kraft getreten wäre, wäre die 60-Stunden-Woche mittlerweile ein Massenphänomen. SN: Bei den Metallern, Eisenbahnern und im Handel gab es Kampfmaßnahmen und gewerkschaftliche Informationsveranstaltungen in der Arbeitszeit. Kritiker sagen, dass dies politisch motiviert war – nämlich nicht gegen die Dienstgeber gerichtet, sondern gegen die Regierung. Natürlich sind unsere Proteste politisch motiviert. Und zwar interessenpolitisch. Wenn die Regierung, beauftragt von der Wirtschaft, einseitige Gesetze und Maßnahmen gegen die Interessen der Beschäftigten verabschiedet, ist es unsere Aufgabe, dagegen zu protestieren. Die Kollektivvertragsverhandlungen diesen Herbst waren hart. Es ging nicht nur um Geld, sondern auch um Arbeitszeitverkürzung und Kompensationen für das Arbeitszeitverlängerungsgesetz. Hier ist uns einiges geglückt, wie die Vier-Tage-Woche im Handel. Oder für einige Kollektivverträge zusätzliche freie Tage. Unsere Proteste haben die Angebote der Arbeitgeber nachhaltig verbessert. SN: Dem Argument, dass die Proteste im Handel das beste Amazon-Förderungsprogramm waren, können Sie nichts abgewinnen? Was bleibt uns übrig, wenn die Arbeitgeber ein Angebot auf den Tisch legen, das ganz einfach inakzeptabel ist? Dann müssen wir doch bekunden dürfen, dass das nicht in Ordnung ist. SN: Der ÖGB hat jahrelang Mitglieder verloren ... Mich freut, dass der ÖGB im vergangenen Jahr erstmals wieder stärker geworden ist. Vielleicht war das die Trendwende. Auch meine Gewerkschaft, die gpa-djp, hat enormen Zuspruch, vor allem von jungen Menschen. SN: Mit welchen Argumenten sagen Sie einem jungen Menschen, dass er der Gewerkschaft beitreten soll? Die jungen Menschen erkennen durchaus, dass die Gewerkschaft bei schmerzlichen Maßnahmen der Regierung dagegenhält. Bei Kollektivvertragsverhandlungen sieht man: Dort, wo wir mehr Mitglieder haben und gewerkschaftlich gut organisiert sind, sind auch die Lohnabschlüsse besser. Etwa in der Metall- oder der Mineralölindustrie. SN: Das sind Bereiche mit einer sehr hohen Wertschöpfung, was vielleicht die guten Abschlüsse erklärt. Mag sein, aber der Zusammenhang zwischen hoher gewerkschaftlicher Organisationsdichte und guten Lohnabschlüssen ist durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen. Übrigens muss man jungen Menschen klarmachen, dass die Eliten, die reichen Menschen, sich ganz ausgezeichnet organisieren. Für Unternehmer gibt es neben der Wirtschaftskammer noch die Industriellenvereinigung.
Was bleibt da den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen übrig, als sich ebenfalls zu organisieren? Bei dieser Regierung, die Politik für die Arbeitgeber macht, ist die gewerkschaftliche Organisation wichtiger denn je. SN: Die Regierung macht doch auch Politik, die Ihren Gewerkschaftsmitgliedern zugutekommt. Ich denke an den Familienbonus. Oder an die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für Schlechtverdiener. Den Familienbonus möchte ich nicht generell schlechtmachen. Was wir kritisieren, ist, dass nicht jedes Kind gleich viel wert ist. Denn Spitzenverdiener haben mehr vom Familienbonus als Wenigverdiener. Überdies höre ich, dass der Familienbonus eingerechnet werden soll in die geplante Steuerreform. Das empfinde ich als Chuzpe. Ich fürchte, dass bei dieser Steuerreform die Arbeitgeber über Gebühr entlastet werden im Vergleich zu den Arbeitnehmern. Und was die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für niedrige Einkommen betrifft: Auch dagegen haben wir natürlich nichts, wir fragen uns aber: Wie sieht es mit der Gegenfinanzierung aus? Dem Gesundheitssystem darf kein Geld entzogen werden. SN: Wie ist Ihre Haltung zu Vermögens- und Erbschaftssteuern? Diese Steuern wären überaus wichtig. Im internationalen Vergleich ist Österreich Schlusslicht, was die Vermögenssteuer betrifft. Hier nur annähernd auf ein Niveau zu kommen, das dem Durchschnitt der OECD-Länder entspricht, wäre immens wichtig. Wir brauchen diese Einnahmen dringend, beispielsweise für eine steuerfinanzierte Pflegefinanzierung und für die Bildung. Auch die Ausgaben für die Gesundheit werden nicht weniger werden. SN: Wird die Digitalisierung massenweise Jobs vernichten? Bisher haben sich derlei Horrorszenarien nicht bewahrheitet. Wir sehen zwar in vielen Betrieben und Branchen, dass Jobs verschwinden, aber auch neue entstehen. Es wäre immens wichtig, in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Und wir verstehen absolut nicht, warum beim AMS-Budget gekürzt wird. SN: Vielleicht weil die Arbeitslosigkeit sinkt? Gerade jetzt wäre die Chance, in die Menschen zu investieren, die sich schwer am Arbeitsmarkt tun. Barbara Teiber,
geboren 1977 in Wien, war von 2001 bis 2006 Frauensekretärin und ab 2008 Wiener Geschäftsführerin der Angestelltengewerkschaft (gpa-djp). Gleichzeitig nahm sie zahlreiche Funktionen in sozialpartnerschaftlichen Gremien wahr. Seit Juni dieses Jahres ist sie Bundesvorsitzende dieser mitgliederstärksten Fachgewerkschaft des ÖGB – als zweite Frau nach Lore Hostasch, die von 1989 bis 1994 amtierte.