Der Truppenabzug und seine Folgen
Der Abzug der US-Soldaten aus Syrien löst in der Türkei Jubel aus. Staatschef Erdoğan sieht darin ein grünes Licht zum Angriff auf die verhasste Kurdenmiliz.
Wenige Stunden nach der ohne Abstimmung mit dem Pentagon getroffenen Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, seine Truppen aus dem Osten Syriens abzuziehen, war der türkische Verteidigungsminister in Feierlaune. Die von Ankara als Terroristen verunglimpften syrischen Kurdenmilizen „können Tunnel graben oder unter Tage gehen“. Trotzdem sei die Zeit jetzt „nicht mehr fern, bis wir sie in den Gräben, die sie ausgehoben haben, begraben“, drohte Hulusi Akar.
Zuvor hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan den überraschenden Rückzugsbefehl Trumps als „grünes Licht“zum Losschlagen gegen den verhassten syrischen PKK-Ableger interpretiert. Die Kurdenmiliz YPG kontrolliert zum Leidwesen Ankaras mehr als 400 Kilometer der gemeinsamen Grenze mit Syrien.
Ohne die Kurden wäre es der USgeführten Koalition in den vergangenen vier Jahren niemals gelungen, die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) in Syrien und dem Irak zu bezwingen. Doch das scheint Schnee von gestern zu sein. Die syrischen Kurden haben ihre Schuldigkeit getan und werden – wie schon so häufig in ihrer Geschichte – ihrem Schicksal überlassen.
Neuer Partner ist die Türkei, die in Washington plötzlich wieder als „ein entscheidendes Element unserer nationalen Sicherheitsstrategie“sowie „entscheidender NATO-Verbündeter an der Kampfesfront gegen den Terrorismus“gefeiert wird. Zum amerikanischen Sinneswandel beigetragen haben dürfte auch die Entscheidung Ankaras, nun doch die Patriot-Raketenabwehrsysteme von den USA zu kaufen – für 3,5 Milliarden US-Dollar. Die Genehmigung zur Lieferung der Lenkwaffen war erst am Dienstag ausgestellt worden.
Noch ist es unklar, wie eng die USA und die Türkei künftig bei der Terrorismusbekämpfung zusammenarbeiten werden. Ein verlässlicher Partner war Ankara dabei beileibe nicht. Bis 2015 hatte der türkische Geheimdienst den IS logistisch unterstützt und Zehntausende Dschihadisten aus aller Welt ungehindert über die Türkei nach Syrien und den Irak einreisen lassen.
Endgültig geschlagen, wie Trump am Mittwoch per Twitter suggerierte, sind die Dschihadisten dort noch längst nicht. Die Terrormiliz, analysiert die Washingtoner Denkfabrik ISW, habe ihre Kontrollgewalt in einigen Regionen Syriens wiederhergestellt und könnte auch wieder genügend Kraft für einen neuen Aufstand aufbringen. Überdies wurden mehrere Tausend IS-Aktivisten von anderen dschihadistischen Milizen in Syrien angeworben oder kämpfen in einer von Ankara ausgerüsteten Islamistenmiliz gegen die bisher von den USA unterstützten syrischen Kurden.
In den USA und bei den NATOPartnern herrschte am Donnerstag eine Stimmung, die zwischen Kopfschütteln und Entsetzen schwankte: Die Entscheidung Trumps erwischt auch dessen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton auf dem falschen Fuß. Dieser hatte noch vor drei Monaten versichert, die USA blieben nicht nur wegen des IS, sondern wegen des Iran im Osten Syriens aktiv. Damit solle das strategische Ziel Teherans unterminiert werden, eine Landbrücke über den Irak und Syrien bis an die Grenze Israels zu bekommen.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, der Republikaner Bob Corker, sprach von einem beispiellosen Alleingang. Und designierte Sprecherin im US-Kongress, die Demokratin Nancy Pelosi, nannte den Alleingang Trumps unverantwortlich.
Überlasse man die bewährte Kurden-Streitmacht jetzt sich selbst, wäre dies ein „schrecklicher Fehler“, der das Land noch auf Jahre verfolgen werde, warnte der republikanische Senator Marco Rubio. Ins gleiche Horn stieß auch Trumps Parteifreund Lindsey Graham: Ein amerikanischer Rückzug zum gegenwärtigen Zeitpunkt, befürchtet er, wäre für den IS „ein großer Sieg“. Die Folgen dieser Fehlentscheidung, so Graham, wären nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt verheerend.
Geopolitisch entstünde eine Situation, welche man nicht nur für den IS, sondern auch für Russland, den Iran und das Assad-Regime als ein „Traumszenario“bezeichnen müsse, betont Charles Lister vom Middle East Institute in Doha. Der Mitarbeiter der angesehenen Denkfabrik erwartet nach einem US-Abzug aus Syrien den langsamen Zerfall der langjährigen US-Verbündeten, die derzeit noch ein Drittel des syrischen Staatsgebiets beherrschen. Es sei eine Schande, dass Washington Verbündete, die im Kampf gegen den IS zu Tausenden gefallen seien, jetzt im Stich lasse. Der von den syrischen Kurden als Verrat empfundene Abzug der USTruppen mache die Suche nach Partnern zur Bekämpfung des radikalen Islam noch schwieriger.