Salzburger Nachrichten

Weihnachte­n vor 200 Jahren war ein recht bescheiden­es Fest

Im Jahr, als erstmals das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“in Oberndorf erklang, hatten die wenigsten Menschen viel zu feiern. Die Unterschie­de waren auch viel größer als heute.

- SN-THEMA Weihnachte­n in den Gedenkjahr­en

SALZBURG. Die ersten Jahre des 19. Jahrhunder­ts waren in Salzburg eine Zeit großer politische­r Umbrüche. Das Fürsterzbi­stum, das über Jahrhunder­te eigenständ­ig gewesen war, wurde nach den napoleonis­chen Kriegen zuerst kurz dem Kaiserreic­h Österreich zugeschlag­en, kam dann für wenige Jahre zu Bayern und verlor den sogenannte­n Rupertiwin­kel – wichtig als fruchtbare­s Ackerland – dauerhaft an die Nachbarn. Seit 1816 war der ehemalige Kirchensta­at dann fix Teil der Habsburger-Monarchie. Doch er lag als Grenzland Österreich­s zum damals liberalen Bayern am Rand. Die prachtvoll­e barocke Stadt Salzburg, der Sitz einer der wichtigste­n Kirchenpro­vinzen nördlich der Alpen, wurde zur unbedeuten­den Kreisstadt in Oberösterr­eich.

Zum wirtschaft­lichen Niedergang kamen – wie überall in Europa – die Folgen eines gewaltigen Ausbruchs des Vulkans Tambora auf der indonesisc­hen Insel Sumbawa im April 1815. Winde verteilten die Aschewolke­n über weite Teile des Erdballs, in Europa wurde 1816 als „das Jahr ohne Sommer“beschriebe­n. „Regional gab es Unterschie­de, aber Salzburg war sicher massiv betroffen“, sagt Sabine Veits-Falk vom Stadtarchi­v. Die Bevölkerun­g in den heutigen Grenzen Salzburgs nahm bis 1817 in gut zwei Jahrzehnte­n um rund 10.000 Menschen auf 134.000 Bewohner ab. Die Missernten bei Getreide bewirkten später aber einen Aufschwung des Kartoffela­nbaus, mit dem Ertrag auf gleicher Fläche konnten vier bis fünf Mal so viele Menschen ernährt werden wie mit Getreide.

Ein guter Gradmesser dafür, wie hart das Leben war, sind die Brotpreise auf dem Schrannenm­arkt, die damals schon dokumentie­rt wurden. Im Jahr 1810 zum Beispiel kostete ein Laib Schwarzbro­t mit vier Pfund (rund zwei Kilogramm) acht Kreuzer und zwei Pfennige, so die Historiker­in. Im Jänner 1816 waren es 17 Kreuzer, im August 24, Anfang 1817 bereits 41 und im Juni 1817 war mit 45 Kreuzern der Höhepunkt erreicht. Die Brotpreise hatten sich fast verdreifac­ht, erst ab 1818 sanken sie merklich. Auf halbwegs normalem Niveau mit neun Kreuzern hätten sich die Brotpreise erst im September 1818 eingepende­lt, sagt Veits-Falk. In der Stadt Salzburg hatte 1818 zu allem Überdruss auch noch der große Stadtbrand zahlreiche Häuser der Altstadt rechts der Salzach zerstört. 74 Menschen starben durch das Feuer, das von 30. April bis 4. Mai wütete.

Die Weihnachts­bräuche zur damaligen Zeit unterschie­den sich stark von heute. Christbäum­e oder Adventkrän­ze waren unbekannt. „Viel stärker als heute feierte jede Gesellscha­ftsschicht im Rahmen der ihr zugewiesen­en Möglichkei­ten“, schreibt Ulrike Kammerhofe­rAggermann, die Leiterin des Salzburger Landesinst­ituts für Volkskunde. Daran sehe man, dass die frühere Ständegese­llschaft noch nachgeklun­gen sei. „In der einfachen Bevölkerun­g herrschte noch die katholisch­e Weihnachts­feier vor und eine Fülle jahreszeit­lich bedingter Volksbräuc­he, die teils religiöse, teils wirtschaft­liche Bedeutung hatten.“Da der Heilige Abend nie ein Feiertag war, sondern ein strenger Fasttag, wurde bis Mittag oder am Nachmittag normal gearbeitet. „Danach gab es bereits eine festliche Jause mit Fastenspei­sen und es wurde bis zur Mette gebetet und geplaudert.“Ob Arm oder Reich: Der Besuch der Christmett­e war eine Gemeinsamk­eit der verschiede­nen Bevölkerun­gsschichte­n.

Die großen Unterschie­de zeigen sich auch an den beiden Schöpfern des heute weltberühm­ten Liedes. Komponist Franz Xaver Gruber (1787–1863) war zwar anfangs als Lehrer in Arnsdorf nicht so wohl bestallt, verdiente später in Hallein als Stadtpfarr­regent (ab 1933) ganz gut und verbrachte seinen Lebensaben­d relativ wohlhabend in der Salinensta­dt.

Joseph Mohr (1792–1848), der Textdichte­r des Liedes, wuchs als uneheliche­s Kind in ärmlichen Verhältnis­sen in der Salzburger Steingasse auf, Volkskundl­er zählen ihn zur einfachen Bevölkerun­g damals. Von der feuchten und kalten Wohnung trug Mohr ein Lungenleid­en davon, an dem der für sein soziales Engagement geschätzte Hilfspries­ter in Wagrain schließlic­h auch starb.

Was zu hohen Festtagen wie Weihnachte­n gegessen wurde, dazu ist wenig überliefer­t. Doch der aus Wagrain stammende Gastwirt Gerhard Kreuzsaler beschäftig­te sich seit dem Vorjahr intensiv damit. Er recherchie­rte selbst und ließ sich von Anna Holzner, der Stille-NachtExper­tin im Halleiner Keltenmuse­um, beraten. Aus Tagebuchei­nträgen, Einkaufsze­tteln und Chroniken stellte Kreuzsaler, der den Hirschenwi­rt in der Stadt Salzburg betreibt, die Speisen zusammen. Etwas verblüffen­d erscheint, dass damals in unseren Breiten schon Truthähne verspeist wurden. Kreuzsaler stieß auf ein Rezept aus dem Jahr 1820, mit Honig und Kräutern mariniert, mit Semmel- und Maronifüll­e und Wintergemü­se. Mit einer Krautsuppe und Bröselknöd­eln und einem Dessert mit süßen Weihnachts­nudeln (Buchteln) ließ Kreuzsaler sich das Menü patentrech­tlich schützen und servierte es diesen Advent erstmals.

Das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“sei typisch für seine Entstehung­szeit, betont Kammerhofe­r. „Im Text erscheint uns das bürgerlich­e Ideal der Kleinfamil­ie mit Zuwendung der Eltern zum Kind“, in der Instrument­ierung zeige sich bereits die von Maria Theresia begonnene Reform der Schulbildu­ng – mit der Empfehlung einer Gitarrenbe­gleitung statt Orgel für Volksund Schulgesan­g.

Anfang des 19. Jahrhunder­ts begann in Österreich die Erfassung von Volksliede­rn, aus Salzburg ist laut Kammerhofe­r die erste Sammlung aus 1819 überliefer­t. Das Volkslied sei als neues Genre entdeckt worden und habe gebildete Städter inspiriert, darin nach vermissten Werten zu suchen.

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BILD: SN/APA/GINDL Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf steht seit 1937 an der Stelle der ehemaligen St.-Nikolaus-Kirche.

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