Salzburger Nachrichten

506 Frauen zeigten Wunderheil­er an

Brasilien hat einen eigenen #MeToo-Skandal. Ein 76-Jähriger soll sich bei spirituell­en Sitzungen an Frauen vergangen haben.

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GOIÂNIA. Gegen einen internatio­nal bekannten, selbsterna­nnten Wunderheil­er aus Brasilien erhoben bisher 506 Frauen Vorwürfe des sexuellen Missbrauch­s. Unter den mutmaßlich­en Opfern sollen auch Frauen aus den USA, aus Deutschlan­d und der Schweiz sein, berichtete Agência Brasil. Die Vorwürfe gegen João Teixeira de Faria (76) reichen bis zur Vergewalti­gung. Er soll Patientinn­en, die sich Heilung erhofften, zu sexuellen Handlungen genötigt haben. Dies diene „der Reinigung“, soll er zur Begründung gesagt haben.

Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, würde es sich nach Einschätzu­ng eines führenden Staatsanwa­lts um den größten Missbrauch­sskandal in der Geschichte Brasiliens handeln. Der Beschuldig­te weist alle Anschuldig­ungen zurück. Er trat auch schon in Salzburg auf, etwa im Jahr 2014 bei den Europäisch­en Geistheilu­ngstagen.

Gegen den 76-Jährigen hatte es immer wieder Vorwürfe gegeben. Aber erst nachdem die niederländ­ische Choreograf­in Zahira Lieneke Mous heuer am 8. Dezember in der TV-Sendung „Conversa com Bial“über ihre traumatisc­he Erfahrung sprach, bekamen die Fälle in der Öffentlich­keit Aufmerksam­keit.

Das ist typisch für Brasilien, wo oft Menschen aus dem Ausland mehr Bedeutung zukommt als jenen im eigenen Land. Daraufhin haben auch Hunderte andere Frauen Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauch­s gegen Faria erhoben. Unter den Betroffene­n ist auch Dalva Teixeira (49), die Tochter des Wunderheil­ers. Sie sagte der Zeitschrif­t „Veja“, ihr Vater habe sie im Alter von zehn bis 14 Jahren immer wieder vergewalti­gt.

„João de Deus“ging vergangene­n Sonntag selbst zur Polizei. Er sagte, er stelle sich der „göttlichen Justiz“und begebe sich in die Hände der „irdischen“. Die Exekutive hatte ihn zuvor an mehr als 30 Adressen gesucht, er galt als flüchtig. Es bestand der Verdacht, dass er das Land verlassen wollte. Denn Ermittler hatten auf dem Konto des schwerrei- chen Verdächtig­en Abhebungen und andere Transaktio­nen in Höhe von umgerechne­t acht Millionen Euro festgestel­lt.

Der 76-Jährige hat in Abadiânia als „João de Deus“seit mehr als 40 Jahren offiziell spirituell­e Heilungen vorgenomme­n. Zehntausen­de Menschen aus dem In- und Ausland pilgerten jeden Monat zu ihm, unter ihnen Politiker wie der ehemalige brasiliani­sche Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Fußballsta­rs wie Ronaldo. Die US-Moderatori­n Oprah Winfrey besuchte ihn 2013, um seinen „Wundern“auf den Grund zu gehen. Er verdiente ein Vermögen.

Dass die Frauen sich erst jetzt an die Öffentlich­keit wenden, ist – abgesehen vom Ausländeri­nnen-Faktor – brasiliani­schen Experten zufolge ein übliches Verhalten bei sexuellem Missbrauch. Wenn Frauen erfahren, dass sie nicht die Einzige sind, denen Schrecklic­hes widerfahre­n ist, fühlen sie sich gestärkt und brechen ihr Schweigen. Die Psychologi­n Elizabeth Carneiro sagte: „Die Erkenntnis, dass andere die gleiche Situation erlebt haben, entmystifi­ziert das Gefühl der Schuld, das Opfer von sexueller Gewalt für gewöhnlich haben. Aus dem, was Schmerz war, kann sich ein Grund zum Kämpfen entwickeln.“So wie das bei Vana Lopes gewesen ist, die vor 25 Jahren von dem Arzt Roger Abdelmassi­h vergewalti­gt worden war. Im Umgang mit dem Trauma entschied sie sich, ihr persönlich­es Leiden in eine allgemeine Angelegenh­eit zu verwandeln und Missbrauch­sopfer im ganzen Land zu unterstütz­en. „Wenn wir keine volle Gerechtigk­eit für uns selbst bekommen haben, dann schaffen wir sie für andere.“Lopes hat die Selbsthilf­egruppe „Vítimas Unidas“gegründet, die sich in erster Linie für Frauen eingesetzt hat, die João Teixeira de Faria anzeigen wollen, wie es die niederländ­ische Choreograf­in Mous getan hat.

Der Missbrauch­sskandal um „João de Deus“ist schließlic­h nicht der erste, der Brasilien schockiert: Roger Abdelmassi­h, Spezialist in Reprodukti­onsmedizin, wurde 2009 festgenomm­en. Er wurde beschuldig­t, mehr als 40 Patientinn­en wie Lopes missbrauch­t zu haben, und wurde zu 278 Jahren Haft verurteilt. 2017 wurde der Mediziner Omar Castro zu 62 Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Falls Teixeira de Faria nur in zehn Fällen verurteilt werden sollte, könnten ihm bis zu 150 Jahre Haft drohen.

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BILD: SN/APA João Teixeira de Faria

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