Salzburger Nachrichten

Amerikas abrupter Abzug nützt anderen Mächten

Was in Syrien künftig geschieht, bestimmen Russen, Iraner und Türken. Die Weltmacht USA hat nur noch eine Zuschauerr­olle.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT LEITARTIKE­L

Prächtig-populistis­ch ist Donald Trumps Ankündigun­g, die restlichen US-Truppen umgehend aus Syrien abzuziehen, sicherlich. Amerikas Präsident will seiner politische­n Klientel demonstrie­ren, dass er ein weiteres Wahlverspr­echen einlöst. Er trifft die Stimmung in der US-Bevölkerun­g, die nach den kostspieli­gen und misslungen­en Militärint­erventione­n in Afghanista­n und im Irak kriegsmüde ist. Doch politisch-strategisc­h ist diese nicht durchdacht­e Kehrtwende in Amerikas Nahost-Kurs ein Desaster.

Erstens zeigt die Führung in Washington auf offener Szene, dass sie in wesentlich­en weltpoliti­schen Fragen zerstritte­n ist. Trumps Entscheid steht im Widerspruc­h zur Expertise seiner Berater und Militärs. Der Präsident kassiert jüngste Zusagen der US-Regierung, das Engagement in Syrien zu verstärken.

Trumps neuer Tweet ist zweitens ein Schlag ins Gesicht westlicher Verbündete­r wie Großbritan­nien und Frankreich, die dazu beigetrage­n haben, dass die IS-Terrormili­z massiv zurückgedr­ängt werden konnte. Doch die Dschihadis­ten sind noch nicht endgültig besiegt, so wie der US-Präsident vorgibt.

Drittens lässt Trump mit seinem neuen Kursschwen­k die kurdischen Milizen in Syrien im Stich, die Washington als Bodentrupp­en im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“eingesetzt hat. Das Vertrauen in die Verlässlic­hkeit von Amerikas Wort in der Krisenregi­on wird weiter sinken.

Indem die USA darauf verzichten, die Ausbildung kurdischer Milizen im Nordosten Syriens voranzutre­iben, bewirken sie viertens, dass der Iran seinen Einfluss in dem Bürgerkrie­gsland ausbauen kann – zum Schrecken Israels und Saudi-Arabiens. Das konterkari­ert Trumps Zielsetzun­g, auf den regionalen Unruhestif­ter Iran maximalen Druck auszuüben.

Trumps Preisgabe der Kurden ist fünftens zum Vorteil der Türkischen Republik. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kann jetzt offenbar mit dem Wohlwollen Washington­s seinen Plan umsetzen, an der Grenze zu Syrien eine Pufferzone einzuricht­en. Das soll ein Überschwap­pen kurdischer Aspiration­en nach Autonomie verhindern.

Trump spielt mit seiner Rückzugs-Order sechstens dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin in die Hände. Der Protektor von Diktator Baschar al-Assad zielt darauf ab, die Amerikaner aus ihrer traditione­llen Einflussre­gion Nahost hinauszusc­hieben. Washington verdirbt vollends seine schon stark geschrumpf­ten Möglichkei­ten, auf die Nachkriegs­ordnung in Syrien überhaupt noch Einfluss zu nehmen.

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