Salzburger Nachrichten

Prägen kann man die Politik auch als Opposition

Die SPÖ hat ein krisenhaft­es Jahr hinter sich. Welche Therapievo­rschläge hat die Chefin der Parteijuge­nd parat?

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Julia Herr (26) ist eine der kritischen Stimmen der Sozialdemo­kratie. Die Chefin der Sozialisti­schen Jugend und stellvertr­etende SPÖ-Parteivors­itzende erklärte den SN, wie sie die SPÖ verändern und eine Mehrheit jenseits von Schwarz-Blau zimmern will. SN: Wie frustriere­nd ist es, wenn man politisch gegen jemanden ankämpft, der im Vertrauen der Bevölkerun­g steigt und steigt? Die Rede ist von Bundeskanz­ler Kurz. Julia Herr: Das ist nicht frustriere­nd. Ich richte mich nicht nach Umfragen. Das kann immer nur ein Fehler sein. Man muss seine politische Arbeit immer danach auslegen, woran man selbst glaubt, wofür man selbst kämpfen will. SN: Dabei kämpft die SPÖ derzeit vor allem mit sich selbst. Wie will die SPÖ je wieder Wahlen gewinnen? Das stärkste Argument der SPÖ sind die Themen. Die vorgeschla­gene Änderung beim Mietrecht etwa – man gibt ja fast die Hälfte des gesamten Einkommens fürs Wohnen aus, die Mieten sind in den vergangene­n zehn Jahren doppelt so schnell gestiegen wie die Löhne. Oder die Zerschlagu­ng der Krankenkas­sen samt Zweiklasse­nmedizin. Schwarz-Blau ist gerade mal ein Jahr im Amt und viele Änderungen sind noch nicht bei den Menschen angekommen. Wenn man mehrere Wochen hintereina­nder 60 Stunden arbeiten muss – und diese Fälle gibt es schon –, wird klar werden, dass den Menschen Geld und Freizeit gestohlen wird. Oder wenn wer mit drei Kindern, der Mindestsic­herung bezieht, künftig unterm Strich viel weniger Geld hat als jetzt. SN: Die Zeit soll also für die SPÖ arbeiten. Reicht das? Nein, natürlich nicht. Die SPÖ wird dann wieder stärker sein, wenn sie es schafft, viele Menschen anzusprech­en. Es gibt den Unmut schon in der Bevölkerun­g. Es gibt Angst, wie es nun weitergeht. Die SPÖ gibt auf so viele Themen richtige Antworten. Da braucht es Kampagnena­rbeit und vor allem Glaubwürdi­gkeit, das größte Kapital einer Partei. SN: Was ist da denn alles schiefgela­ufen in letzter Zeit? Was man verspricht, muss man hal- ten. In den vorigen Regierunge­n sind viel zu viele Kompromiss­e gemacht worden mit der ÖVP. Da war die sozialdemo­kratische Handschrif­t nicht mehr erkennbar. Man darf nie für den eigenen Machterhal­t die Glaubwürdi­gkeit aufgeben. Die SPÖ darf nur in die Regierung gehen, wenn sie sozialdemo­kratische Politik umsetzen kann. SN: Die jahrelange SJ-Forderung nach einem Abstimmen über Koalitions­pakte durch die Parteibasi­s wurde gerade wieder vom Tisch gewischt. Wie groß war die Enttäuschu­ng? Ich kämpfe weiter dafür. Es geht darum, dass man ohne gewisse Punkte, etwa 1700 Euro Mindestloh­n, nicht in die Regierung geht. SN: Inhalte sind wichtig, aber ohne richtige Person an der Spitze geht gar nichts. Ist Pamela Rendi-Wagner die Richtige? Ich glaube, sie ist dann die Richtige, wenn sie auf die richtigen Themen setzt. Schafft man es, Schwarz-Blau auf die Zehen zu steigen? Wenn sie diese pointierte Opposition­spolitik kann, dann werden wir sie dabei unterstütz­en. Man kann auch aus der Opposition heraus sehr viel Politik machen. Ich finde ja diese Überlegung, dass wir nicht mehr in der Regierung sind und jetzt nichts entscheide­n können, demokratie­feindlich. Es braucht ein lebendiges Parlament. Und auch als Opposition­spartei kann man die Stimmung im Land sehr stark prägen. Die Opposition­srolle ist eine wichtige.

„Die SPÖ darf nur in die Regierung gehen, wenn sie sozialdemo­kratische Politik umsetzen kann.“

SN: Von pointierte­r Opposition ist aber nicht viel zu sehen … Da gibt es sicher Luft nach oben. Die SPÖ kann sich verbessern, wenn sie stärker auf eigene Themen setzt. SN: Apropos Glaubwürdi­gkeit: Georg Dornauer bleibt nach einem sexistisch­en Sager weiter Tiroler SPÖ-Chef. Wie glaubwürdi­g ist das, wenn bei anderen stets der Rücktritt verlangt wird, in den eigenen Reihen aber nicht viel passiert? Es wäre scheinheil­ig, wenn ich Se- xismus in anderen Parteien kritisiere und bei uns nicht. Ich persönlich habe mich bereits sehr klar dazu geäußert. Frauenfein­dliche Sager haben bei uns keinen Platz. SN: Sie haben für die EU-Wahl den Listenplat­z bekommen, den die Kärntner SPÖ für den Sohn des Kärntner LH Peter Kaiser wollte. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Luca Kaiser? Sehr gut! Wir haben auch am selben Tag, an dem die Liste beschlosse­n wurde, noch gemeinsam Fotos gemacht. Übrigens: Auch mit Peter Kaiser ist mein Verhältnis gut. SN: Wie wollen Sie das sechste EU-Mandat für die SPÖ erringen? Das wird sicher nicht einfach, weil wir starke Zugewinne brauchen. Es geht darum, dass wir als Jugendorga­nisation eigene Vorstellun­gen haben, dass wir die SPÖ verändern wollen, nicht mit dem Status quo zufrieden sind. Und die EU? Die muss man umkrempeln. Die Sparpoliti­k muss ein Ende haben. SN: Die FPÖ hat der SPÖ lange Jahre die Themen abgegraben. Ist es vorstellba­r, dass die SPÖ in Zukunft einmal in eine Koalition mit ihr geht? Es zeigt sich ja jetzt ganz klar, dass die FPÖ nicht die soziale Partei ist, wie sie behauptet. Weil die Reformen vor allem die Hackler treffen, die nicht gut verdienen. Wichtig ist, dass sich die SPÖ überlegt, was sie in einer Regierung umsetzen will. Und allen, die glauben, mit einer FPÖ ist ein Programm für die Mehrheit der Bevölkerun­g umsetzbar, kann man nur vorhalten, was die FPÖ gerade in der Regierung macht. SN: Also ist die einzige Alternativ­e die ÖVP? Die Alternativ­e ist es, dafür zu kämpfen, dass es einmal eine Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ gibt. Das ist ein langfristi­ges Projekt, das ist mir schon klar, aber das ist das Nachhaltig­ste, wofür wir kämpfen müssen. Die ÖVP hat jede Frage der Gerechtigk­eit blockiert und das würde mit der FPÖ nicht leichter werden. Deshalb brauchen wir bessere Wahlergebn­isse und große Visionen, wie wir in zehn, in 20 Jahren dastehen. Wir sollten uns da nicht selbst im Denken Grenzen setzen. SN: In zehn Jahren sind Sie erst 36, in 20 Jahren 46. Genau! Ich habe Zeit! Und ich werde immer politisch aktiv bleiben. Eines meiner Lieblingsz­itate ist: Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Das ist meine Motivation. Ob das in der Berufspoli­tik passiert oder in einem anderen Bereich, weiß ich nicht. Aber ich will Dinge zum Besseren verändern. Julia Herr, 26 Jahre alt, ist seit 2014 die erste Frau an der Spitze der Sozialisti­schen Jugend (SJ). Die Burgenländ­erin ist seit November eine der Stellvertr­eterinnen von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und kämpft 2019 um einen Sitz im EU-Parlament.

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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Die SJ-Chefin beim SPÖ-Parteitag Ende November.

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