Ein Ort kämpft vereint gegen den Notstand
Eingeschneite Personen, unpassierbare Straßen und kein Ende der Schneemassen in Sicht: Hier herrscht Ausnahmezustand. REPORTAGE St. Koloman
ST. KOLOMAN. Das Telefon läutet pausenlos, phasenweise spricht Willi Wallinger am Mobiltelefon und am Festnetz gleichzeitig. Mal sind es Mitglieder des Lawinenwarndienstes, mal der Landeswarnzentrale, mit denen der Bürgermeister von St. Koloman spricht. „Sind es zehn oder elf Personen?“, fragt er. Und dann: „Für einen Tag haben sie noch zu essen? Ja, ich klemme mich dahinter.“Dann legt er auf. „Das war die Alpinpolizei. Auf der Gaisberghütte am Tauglboden sind elf Personen eingeschlossen.“Das Telefon läutet erneut. Es ist der Bewohner eines allein stehenden Holzhauses. Das Gebälk krache bereits unter der Last des Schnees. „Derzeit ist es unmöglich, Feuerwehrleute zum Abschöpfen von Dächern rauszuschicken. Sie haben alle Hände voll zu tun, die Wege im Ort freizubekommen“, schildert Willi Wallinger. Dann ersucht er seinen Amtsleiter, nachzufragen, ob es Unterstützung des Bundesheers zum Befreien der Dächer von Schnee geben wird. Vorsorglich wurde im Feuerwehrhaus ein Notquartier einrichtet.
Jetzt hat Wallinger anderes im Sinn. Drei Ortsteile sind wegen der Schneemassen seit mehr als 48 Stunden vom Rest der Gemeinde abgeschlossen und wegen umgestürzter Bäume ohne Stromversorgung. Betroffen sind davon etwa 50 Personen – Einheimische genauso wie Gäste. In den vergangenen 80 Stunden hat es in der Tennengauer Gemeinde mehr als 1,50 Meter geschneit, in schneereichen Teilen sogar bis zu zwei Meter. Abends soll ein Zeitfenster ohne Schneefall aufge- hen. Das will Wallinger nutzen, denn am Dienstagvormittag um 10 Uhr schließt es sich wieder. Dann kommt noch einmal ein Meter Neuschnee und alles ist wieder zu.
„Mit zwei Radladern und einem Schneepflug wollen wir die Straße frei räumen und die eingeschlossenen Menschen mit Diesel und Nahrungsmitteln notversorgen. Denn beides wird bereits knapp“, schildert der Bürgermeister. Betroffen davon sind auch mehrere Bauernhöfe. Geht ihnen der Strom aus dem Dieselnotaggregat aus, können die Kühe nicht mehr gemolken werden. Bis die Straße wieder passierbar ist, kann auch die Milch den Hof nicht verlassen.
Im Ort selbst herrscht nahezu gespenstische Stille. Schule und Kindergarten bleiben vermutlich für die restliche Woche geschlossen. Und auch sonst sieht man kaum Menschen auf der Straße. Das Bild beherrschen Räumfahrzeuge, Traktoren und Radlader. Neben den Schneeräumgeräten der Gemeinde haben sich auch ortsansässige Unternehmer in den Dienst gestellt. So wie Markus Ramsauer aus Adnet. Er hilft seit drei Tagen mit dem Radlader seines Schwiegervaters beim Schneeräumen. Wer einen Traktor hat, setzt ihn ein. „Da hilft einer dem anderen“, schildert Helmut Graf. Sein Haus ist von einer zwei Meter hohen Schneewand umgeben. „Ich weiß gar nicht mehr, wohin mit dem Schnee.“Landwirt Andreas Putz schiebt den Schnee auf seine Traktorschaufel, Helmut Graf und sein Vater Erich Graf helfen mit Schneeschaufeln nach. Im Minutentakt fährt Andreas Putz die Schneemassen weg.
Unterdessen freut sich Bürgermeister Wallinger über erfreuliche Nachrichten. „Der Durchstich in der Seewaldstraße ist geschafft“, verkündet er. Das bedeutet, der Weg zu sechs Personen auf zwei Bauernhöfen ist wieder frei. Dort war Holzhändler und Holzschlägerungsunternehmer Rupert Siller seit sechs Uhr morgens mit seinem Traktor im Einsatz. Gesichert von der örtlichen Feuerwehr hat der Unternehmer rund 40 umgeknickte, über dem Weg liegende oder quer über dem Weg in den Bäumen hängende Stämme durchgesägt und weggeschafft. Damit steigt die Chance für die abendliche Versorgungsaktion. Auch in der mit schwerem Gerät mittlerweile wieder erreichbaren Hornstraße und dem Ortsteil Kasbach warten 32 Personen auf Hilfe.
Eine Lösung zeichnet sich auch für jene elf Personen ab, die auf der Gaisberghütte am Tauglboden vom Schnee eingeschlossen sind. Die Bergrettung ist ausgerückt, um sie zu bergen.
Auf Holzschlägerer Siller wartet unterdessen eine neue Aufgabe. Zwei Bäume sind auf eine Stromleitung gestürzt. „Wenigstens die Lawinengefahr ist mittlerweile gebannt, weil sich der Schnee gesetzt hat“, sagt Wallinger. Er kann der Situation auch etwas Gutes abgewinnen: „Zumindest helfen bei uns alle zusammen.“
„Seit drei Tagen helfe ich von 6 bis 22 Uhr beim Schneeräumen.“