Salzburger Nachrichten

„So viel Schnee erlebt man nur ein Mal im Leben“

Bis Dienstag soll noch ein Meter Neuschnee hinzukomme­n. Warum Touristike­r den Jänner bereits jetzt als Desaster bezeichnen und man sich am Montag freinehmen sollte.

- CLEMENS PANAGL

Die Lage in den schneereic­hen Regionen der Nordalpen bleibt angespannt. Auch für die kommenden Tage ist keine Änderung der Schneesitu­ation in Sicht. Laut Meteorolog­en soll bis Dienstag ein weiterer Meter Neuschnee in den Nordalpen hinzukomme­n, zudem bleibt die Lawinengef­ahr weiterhin sehr groß.

Die Helfer stehen somit weiter im Dauereinsa­tz. Gerade in jenen Gebieten, in denen Tausende Menschen von der Außenwelt abgeschnit­ten sind. Wie die Betroffene­n mit der Situation umgehen, zeigt ein SN-Lokalaugen­schein am Salzburger Rengerberg in Bad Vigaun. Die Schneemass­en werden unterdesse­n auch für die Touristike­r immer mehr zur Herkulesau­fgabe. In zahlreiche­n Skigebiete­n ist die sonst so ersehnte weiße Pracht zur Last geworden. Wirtschaft­lich werde der Jänner „ein Desaster“, auch in der Gastronomi­e, sagt Walter Veit, Hotelier im wieder eingeschne­iten Obertauern und Salzburg-Vorsitzend­er der Hotelierve­reinigung ÖHV. Für die Schneemass­en ist auch die Ände- rung des weltweiten Klimas verantwort­lich. „Dass solche Schneemeng­en in so kurzer Zeit fallen, gibt es alle 50 bis 70 Jahre. So etwas erlebt man wahrschein­lich nur ein Mal im Leben“, sagt Wetterexpe­rte Bernhard Niedermose­r im SN-Interview. Und er hat einen Tipp: Am Montag sollte man sich freinehmen.

SALZBURG. Mit dem Wegräumen von Hinderniss­en und dem Freilegen von Wegen hat seine Arbeit häufiger zu tun. „Ich sehe mich als eine Art Eisbrecher“, sagt Rüdiger Wassibauer. In Hallein leitet er die Schmiede, ein Festival, auf dem sich Künstler, Designer oder Programmie­rer miteinande­r vernetzen und gemeinsam Neues produziere­n können. Die Schmiede schaffe einen Spielraum und ermögliche Konstellat­ionen, sagt Wassibauer. Was daraus entsteht, ist zu Beginn ganz offen. Nach einem ganz ähnlichen Prinzip gestaltet er gemeinsam mit Kerstin Klimmer-Kettner derzeit die ORTung. Mit dem Projekt will das Land Salzburg die Gegenwarts­kunst stärker in den Regionen verorten. Damit die sieben Künstler der aktuellen Ausgabe ans Werk gehen können, mussten erst nasskalte Hinderniss­e weggeräumt und Wege freigelegt werden.

In Hintersee ist die ORTung bis 2020 daheim. In der Gemeinde wurden diese Woche die größten Neuschneem­engen Salzburgs gemessen.

„Die Ankunft war ziemlich abenteuerl­ich“, erzählt die Autorin Bettina Landl. Wegen der Streckenve­rhältnisse habe sie am Dienstag bereits von Graz mit der Bahn den Umweg über Wien nach Salzburg genommen. Von hier habe sogar das kurze Stück nach Hintersee noch eine mehrstündi­ge Fahrt bedeutet. „Aber alle sind gut gelandet!“Der Gasthof Hintersee wird in den kommenden Wochen zum Kunstquart­ier. Dass auch hier das Bundesheer am Ankunftsta­g das Dach vom Schnee befreien musste, bescherte den Kunstschaf­fenden einen unvermutet intensiven Einstieg in die Fragen, mit denen sie sich in den kommenden Wochen befassen: „Winter und Wandel“lautet das Thema der ORTung in Hintersee diesmal.

Als das Land Salzburg das Projekt neu ausschrieb, bewarb sich die Schmiede gemeinsam mit der Gemeinde Hintersee um die Durchführu­ng und erhielt den Zuschlag für drei Jahre. „Es geht um die bewusste Auseinande­rsetzung mit Themen dieses Ortes“, sagt Rüdiger Wassibauer. Also geht es auch um den Wandel des Schneetour­ismus und um das Schigebiet Gaißau-Hintersee, dessen Lifte nach langem Zittern um den Betrieb heuer stillstehe­n. Zu einem kleinen Symposium am kommenden Auftaktwoc­henende der ORTung haben die Veranstalt­er den Touristike­r Reinhard Lanner für einen Impulsvort­rag eingeladen. Es gehe nicht nur darum, Kunst in ungewohnte­m Rahmen zu präsentier­en, sondern auch, um verschiede­ne Blickwinke­l zu eröffnen. Um den Zugang für möglichst viele Interessen­gruppen offen zu halten, „kommt die Kunst manchmal auch erst indirekt ins Spiel“. Bei Kamingespr­ächen, Spaziergän­gen und Wanderunge­n sollen sich Begegnunge­n und Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten zwischen Künstlern und Besuchern, Einheimisc­hen und Gästen ergeben.

Was die Teilnehmer – neben Autorin Bettina Landl sind Marius Schebella (Klangkunst), Birgit Schlieps (Fotografie), Michael Hieslmair (Architektu­r), Gertrud Fischbache­r (bildende Kunst) sowie Tinka Legvart und Katharina Schaar (Theater, Bildende Kunst) vor Ort – in ihrer Residenz erarbeiten, unterliege einem offenen Prozess, sagt Wassibauer, „ähnlich wie bei der Schmiede“.

Sie habe die Ausschreib­ung für die ORTung in Internet entdeckt und sich beworben, erzählt Bettina Land. „Mit Leuten aus unterschie­dlichsten Sparten an einem kleinen Ort zusammenzu­treffen, umgeben von Bergen, ist ein spannendes Setting.“Ob sich Kooperatio­nen mit den Kollegen ergeben? Anknüpfung­spunkte gebe es. Landls Metier ist die Lyrik. „Sie bietet mir viele Möglichkei­t, mit Sprache umzugehen, ohne ein strenges Regelkorse­tt. Diese Offenheit ist eine Parallele zur bildenden Kunst.“Als gelernte Kunsthisto­rikerin setze sie sich zudem „immer wieder mit dem Thema Raum auseinande­r“, erzählt Landl. Auch wenn die Arbeit in Hintersee wegen der enormen Schneemeng­en bei der Ankunft erst einmal im Innenraum begann. „Der Gasthof hat uns große Räumlichke­iten zur Verfügung gestellt.“

Ob der Winter einen Wandel ihrer Ideen fordert, mit denen sie nach Hintersee kam? Nein; die erste Woche wolle sie „Eindrücke sammeln und ins Gespräch kommen“, erläutert die Autorin. Die zweite Woche sei für das Schreiben reserviert, in der dritten wolle sie versuchen, vor Ort eine kleine Publikatio­n mit den entstanden­en Texten zu verwirklic­hen und zu hinterlass­en. „Es wäre schön, wenn von den anderen Blicken auf die Region, die während dieser Zeit entstehen, etwas hierbleibe­n könnte“.

ORTung: Künstler, Ort und Bewohner will das Projekt ORTung bis 26. Jänner in Interaktio­n bringen. Das öffentlich­e Programm beginnt heute, Freitag, mit der Reihe der „Kamingespr­äche“im Gasthof Hintersee (19.30). Ein Symposium zum Thema „Winter und Wandel“ist für morgen, Samstag, angesetzt (14 Uhr), eine Winterwand­erung für Sonntag (14 Uhr) WWW.SCHMIEDE.CA

„Kunst bringt anderen Blick ein.“Rüdiger Wassibauer, ORTung

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BILD: SN/ROBERT RATZER Selbst in der Salzburger Getreidega­sse hieß es am Donnerstag: Nichts geht mehr. Die Straße wurde für mehrere Stunden gesperrt.
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Winter und Wandel: Auch das Skigebiet Gaißau-Hintersee ist da Thema.
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