Keine üble Nachrede gegen Charly Kahr
Trainerlegende Charly Kahr drang mit übler Nachrede nicht durch. Im Gerichtssaal trafen sich drei Ex-Rennläuferinnen, deren Wahrnehmungen zu sexueller Gewalt diametral auseinandergingen.
Eine Ex-Skirennläuferin und ihr Mann, die in WhatsApp-Nachrichten dem ÖSV-Trainer sexuellen Missbrauch vorwarfen, wurden freigesprochen.
BLUDENZ, WIEN. Auf der einen Seite Charly Kahr, Trainerlegende des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), auf der anderen Seite eine ehemalige Skirennläuferin und deren Ehemann. Im Bezirksgericht Bludenz wurden die Beschuldigten am Donnerstag freigesprochen. Der 86-jährige Kahr, der selbst nicht anwesend war, hatte wegen übler Nachrede geklagt, weil die beiden Vorarlberger ihn schwerer sexueller Übergriffe in den 1960er- und 70erJahren bezichtigt hatten. Im Saal anwesend: Annemarie Moser-Pröll, Jahrhundertsportlerin aus Kleinarl, sechsfache Weltcupsiegerin und Kronzeugin im Strafverfahren.
Anlass des Gerichtsstreits waren WhatsApp-Nachrichten, die mit Sicherheit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Am Silvesterabend 2017 soll die frühere Zimmerkollegin von Moser-Pröll ihr ein Foto geschickt haben, das sie mit Kahr zeigt, dazu der Kommentar: „Dein Entjungferer Charly. Du warst noch keine 16 Jahre alt.“Der Ehemann der Montafonerin habe hinzugefügt, Moser-Pröll solle sich schämen, „einen CK in Schutz zu nehmen“, der gemeinsam mit Toni Sailer viele Mädchen missbraucht und gebrochen habe.
Die Richterin fällte letztlich ein Formalurteil: Sie sprach die Schreiberin der Nachricht frei, weil die Zeilen nicht für die Öffentlichkeit oder weitere Personen gedacht waren, um das Ansehen von Kahr zu beschädigen. Ihr Mann habe demnach gutgläubig gehandelt, er habe die Vorwürfe geglaubt. Manfred Ainedter, Rechtsanwalt Kahrs, meldete volle Berufung an.
Im Verhandlungssaal zwei Fronten: Kahr bestritt alle Anschuldigungen vehement, auch MoserPröll stellte Vergewaltigungsvorwürfe im ÖSV-Team in Abrede.
Ein ehemaliger „Stern“-Reporter berief sich als Zeuge vor Gericht auf seine Recherchen. Er hatte insbesondere den „Fall Toni Sailer“– Vergewaltigungsvorwürfe aus dem Jahr 1974 – beleuchtet. Dass die Angaben in seinem Artikel korrekt gewesen seien, sah er insofern bestätigt, als er nie vom ÖSV oder Sailer persönlich geklagt worden sei. Über die damalige Zeit habe es im Skizirkus neben dem „Fall Toni Sailer“Gerüchte gegeben, wonach
Exzessive sexuelle Stimmung im Skiteam
im Damenteam sexuelle Gefälligkeiten – sowohl freiwillig als auch unfreiwillig – erwartet worden seien, etwa für Startplätze. Der frühere „Stern“-Journalist berief sich auf mehrere Informanten, deren Namen er aber nicht nannte. Der Alkoholismus von Sailer und Kahr sei ein offenes Geheimnis gewesen, sagte der ehemalige Journalist. Kahr habe betrunken sogar damit ge- prahlt, junge ÖSV-Skiläuferinnen zu entjungfern. Für ihn habe sich ein klares Bild ergeben.
Der Ex-Journalist hatte sich im Dezember 2017 in der Wohnung von Nicola Werdenigg, die im Herbst 2017 als Erste offen über sexuelle Gewalt im ÖSV sprach, mit zwei „Standard“-Journalisten und dem beklagten Ehepaar getroffen. Es sei ein sehr bewegender und emotionaler Nachmittag gewesen, sagte der Zeuge aus.
Werdenigg, die als Rennläuferin Spieß hieß, berichtete vor Gericht von einer „exzessiven sexuellen Stimmung“im Skiteam der 1970erJahre. Karl Kahr habe nicht die Eignung besessen, Trainer eines Damen-Skiteams zu sein, und sei deshalb abgelöst worden. „Er hat seine Macht eingesetzt und missbraucht“, sagte Werdenigg.
Der Missbrauch habe nicht nur, aber auch sexuell stattgefunden. Manche Skiläuferinnen hätten ihre Karrieren beendet, als Kahr ein Naheverhältnis zu Moser-Pröll aufgebaut und sie bevorzugt habe. Dass zwischen den beiden ein sexuelles Verhältnis bestanden habe, stand für Werdenigg aufgrund ihrer eigenen Wahrnehmung fest, die sich im Wesentlichen auf Erzählungen stützte. Moser-Pröll hatte das vor Monaten vor Gericht energisch zurückgewiesen.
In Sachen sexueller Missbrauch durch Kahr wusste Werdenigg „aus direkter Quelle von drei Fällen, gerüchteweise von mehr“. Sie unterstrich die Aussage des Ex-Journalisten, wonach Kahr die Entjungferung junger Rennläuferinnen „als sein Recht“betrachtet habe. Zudem hätten Kahr und Sailer immer wieder für Alkoholexzesse gesorgt, Kahr sei „ein bis zwei Mal pro Woche“verkatert zum Training erschienen, so Werdenigg.