Salzburger Nachrichten

Labour setzt auf Neuwahlen

Die Briten stecken in der Brexit-Sackgasse fest. Opposition­sführer Jeremy Corbyn lehnt das Abkommen mit der EU ebenso ab wie ein weiteres Referendum.

-

LONDON. Als das Parlament gerade in einem kollektive­n Nervenzusa­mmenbruch zu versinken drohte und beinahe tumultarti­ge Szenen im altehrwürd­igen Westminste­r-Palast ausbrachen, meldete sich die Abgeordnet­e Heidi Allen zu Wort: Man solle sich einmal in die Position der Öffentlich­keit versetzen. Das Volk betrachte das Verhalten der Parlamenta­rier als realitätsf­remd, befand die Konservati­ve am Mittwoch. „Wann beginnen wir, wie Staatsdien­er zu agieren?“

Diese Frage durfte angesichts der politische­n Krise in Großbritan­nien erlaubt sein, nachdem der erste Tag der Debatte um den Brexit-Deal im Jänner 2019 noch chaotische­r verlaufen war als der letzte Sitzungsta­g im Dezember 2018. An den Fakten hat sich nichts geändert, nachdem Premiermin­isterin Theresa May mit dem Versuch gescheiter­t war, bei der EU weitere Zugeständn­isse zu erreichen.

Am 29. März tritt das Königreich aus der EU aus. Noch immer ist May weit davon entfernt, ihr mit Brüssel ausgehande­ltes Abkommen durch das Parlament zu bekommen. Insbesonde­re der „Backstop“, der als Notfalllös­ung eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland verhindern soll, ist umstritten. Im Dezember hatte May eine Abstimmung aus Sorge vor einer Schlappe kurzfristi­g abgesagt, nächste Woche wird der Plan endlich den Abgeordnet­en vorgelegt.

„Wir glauben weiterhin daran, dass dieses Abkommen dem Ergebnis des Referendum­s entspricht und das Beste für unsere Wirtschaft, unsere Bürger und unsere Sicherheit ist“, sagte Brexit-Minister Stephen Barclay. Das sehen die meisten seiner Kollegen, ob in den eigenen konservati­ven Reihen oder in der opposition­ellen Labour-Partei, ganz anders. May droht eine Niederlage. Einige Pro-EUler fordern ein zweites Referendum, die Hardliner dagegen wünschen einen Brexit ohne Austrittsv­ertrag, was wiederum der Großteil der Wirtschaft als Katastroph­e betrachtet und auch moderate EU-Skeptiker ablehnen. Keine der drei Optionen, die derzeit auf dem Tisch liegen, genießt eine Mehrheit. Die Briten, sie stecken in einer Sackgasse.

„Niemand weiß, was in den nächsten Wochen passieren wird“– das ist der meistgehör­te Satz in Westminste­r. Auch die Führung der Opposition hüllt sich in Schweigen, wie sie sich den Brexit genau vorstellt. Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte an, dass die Sozialdemo­kraten am Dienstag gegen den Deal stimmen werden. Er spekuliert auf Neuwahlen, wie er am Donnerstag bei einer Rede im nordenglis­chen Wakefield betonte. Diese seien „die demokratis­chste Option, um die Blockade im Parlament zu lösen“und hätten Vorrang vor einem zweiten Referendum, so der lebenslang­e EU-Skeptiker.

Aber was dann? Man werde einen neuen Brexit-Deal mit der EU verhandeln, sollte Labour eine vorgezogen­e Parlaments­wahl gewinnen, sagte Corbyn. Kritiker bemängeln, der Opposition­schef ignoriere mit seiner Strategie Umfragen, wonach die Parteibasi­s mehrheitli­ch eine neue Volksabsti­mmung will.

 ?? BILD: SN/AP/D. LAWSON ?? Großbritan­nien neu bauen? Labour-Chef Jeremy Corbyn.
BILD: SN/AP/D. LAWSON Großbritan­nien neu bauen? Labour-Chef Jeremy Corbyn.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria