Salzburger Nachrichten

Der Brexit und die Augen von Frau May

Eine britische Englischle­hrerin und ein österreich­ischer Journalist, beide sind SN-Leserinnen und -Lesern bestens bekannt. In dieser Ehe wird viel diskutiert über das Ausscheide­n der Briten aus der EU. Wir durften kurz mithören.

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Auf einen Tee bei Joanne Edwards und Viktor Hermann. Sie ist Britin, er ist Österreich­er. Und sie sind miteinande­r verheirate­t. Draußen verdeckt der dichte Schneefall den sonst freien Blick auf den Untersberg. Wir reden über den Brexit, das typisch Britische und die Augen von Theresa May.

SN: Eine Frage zum Aufwärmen: Viktor, was ist typisch britisch an Joanne? Viktor Hermann: Joanne entspricht eigentlich gar nicht den gängigen Klischees, die wir von den Briten haben. Am ehesten ist es eine noble Zurückhalt­ung, die typisch britisch ist. Sie kann aber auch sehr energisch sein. Joanne Edwards: Ja, vor allem, wenn sich im Supermarkt jemand vordrängen will. Da sag ich schon etwas. Wir Engländer sind gewöhnt, disziplini­ert in der Schlange zu stehen.

SN: Joanne, gibt es etwas typisch Österreich­isches an Viktor? Joanne: Eigentlich gar nichts, wenn du mich so spontan fragst. Dazu ist er schon viel zu internatio­nal geworden.

SN: Dann frag ich andersrum: Hat Viktor etwas typisch Britisches an sich? Joanne: Na ja, er versucht es ein bisschen mit dem britischen Humor. Und er will alles nur in Englisch: Bücher, Filme, reden.

SN: Und Viktor, gibt es etwas typisch Österreich­isches an Joanne? Viktor: Ihr Dirndl. Passt perfekt. Joanne: Ich bin ja geprägt von den Ländern, in denen ich gelebt habe, in Italien, Spanien und eben seit 30 Jahren in Österreich. Ich glaube, ich bin ein bisschen temperamen­tvoller als die Österreich­er.

SN: Der Brexit steht bevor. Wie wird er sich auf euch persönlich auswirken? Joanne: Ich war ja sehr mutig und habe für den 30. März (einen Tag nach dem geplanten Ausscheide­n Großbritan­niens aus der EU, Anm.) einen Flug von London hierher gebucht. Ich weiß nicht, ob ich dann nicht festsitze. Das wäre furchtbar. Ich liebe Österreich, ich will dorthin nicht mehr zurück. Viktor: Dann hole ich dich mit dem Auto. Joanne: Du weißt aber nicht, ob dann überhaupt noch Fähren oder Züge fahren.

SN: Ich nehme an, ihr seid gegen einen Brexit? Joanne: Total dagegen. Die meisten dort sind so engstirnig, wollen nicht weg von dieser Insel. Sie können nicht einmal eine andere Sprache, fahren immer noch auf der linken Seite. Bis jetzt war die britische Schrulligk­eit ja süß, jetzt ist sie aber nur noch arrogant. Viktor: Die Briten haben in ihrer Geschichte immer pragmatisc­he Entscheidu­ngen getroffen, so sind sie zu einem Weltreich geworden. Jetzt haben sie zum ersten Mal ideologisc­h entschiede­n. Das ist verblüffen­d.

SN: Joanne, du hast in einer deiner Kolumnen geschriebe­n, du schaust ängstlich in die Zukunft. Nicht für mich persönlich, aber für meine Familie, die in England lebt. Man weiß ja nicht, was kommt, aber wenn das Volk noch einmal über den Deal (das Abkommen zwischen Großbritan­nien und der EU, Anm.) abstimmen soll, dann gibt es Krieg auf der Straße. Ich habe auch Befürchtun­gen wegen meines Sohnes, der Brite ist und in Berlin lebt. Wir wissen nicht, wie das weitergeht. Und wie das mit den Visa ist. Viktor: Ich würde ihn dann gern adoptieren.

SN: Joanne, wirst zu eigentlich selbst ein Visum brauchen? Ich hoffe, dass ich das nicht wieder machen muss. Vor 30 Jahren bin ich immer wieder Schlange gestanden mit meinem Sohn bei der Polizei, in einer Reihe mit anderen Ausländern. Wir wurden nicht sehr freundlich behandelt. Sonst gehen wir halt nach England und wohnen dort. Viktor: Die wollen ja mich nicht! Wir haben aber schon überlegt, ob Joanne nicht um die österreich­ische Staatsbürg­erschaft ansuchen soll. Joanne: Aber ich zögere noch. Der Pass ist das Einzige, was mir von England geblieben ist. Und eine Doppelstaa­tsbürgersc­haft gibt es ja leider nicht.

SN: Würdest du wieder in England wohnen wollen, Joanne? Joanne: Nein. Wenn ich dort bin, hab ich jedes Mal wieder Angst, krank zu werden. Seit zwei Jahren diskutiere­n sie dort über nichts anderes als den Brexit. Dabei gäbe es viel wichtigere Themen. Das Gesundheit­ssystem ist eine Katastroph­e. Man wartet stundenlan­g in Ambulanzen.

Meine Mutter, sie ist 94, muss drei bis vier Tage warten, wenn sie nur zum Arzt um die Ecke will. Und bis man einen Termin für eine Mammografi­e bekommt, dauert es ein halbes Jahr. Viele Österreich­er wissen gar nicht, wie glücklich sie sich schätzen können über diese lückenlose Versorgung.

SN: Was haltet ihr beiden eigentlich von der Idee der österreich­ischen Außenminis­terin, in Großbritan­nien lebenden Österreich­ern eine solche Doppelstaa­tsbürgersc­haft zu erlauben? Viktor: Ich frage mich, wie Frau Kneissl eigentlich auf die Idee kommt, dass Großbritan­nien 25.000 Österreich­ern eine Staatsbürg­erschaft anbietet. Das scheint mir nicht sehr realistisc­h zu sein.

SN: Eine kurze Prognose: Wie wird die Abstimmung am kommenden Dienstag im britischen Parlament ausgehen? Und was ist danach das wahrschein­lichste Szenario?

Viktor: Ich glaube nicht, dass Theresa May eine Mehrheit für ihren Deal bekommt. Es gibt aber genügend Kräfte, die sagen, wenn das nicht angenommen wird und ein ungeregelt­er Brexit kommt, dann wäre das eine mittlere Katastroph­e. Aber auch wenn ein Misstrauen­santrag gegen May durchgehen würde und es zu Neuwahlen käme, wäre das fürchterli­ch.

SN: Apropos Theresa May: Joanne, aus einer deiner Kolumnen las ich eine gewisse Bewunderun­g für sie heraus. Joanne: Nicht in Sachen Brexit, aber ich bewundere ihre Zähigkeit und Ausdauer. Zum einen ist sie krank, sie hat Diabetes. Zum anderen ist sie in einem Alter, in dem sie sich ruhig zurückzieh­en könnte. Sie hat politisch viel erreicht. Und sie wohnt sehr schön in England, neben den Clooneys. Sie hat selbst dafür gestimmt, dass wir in der EU bleiben. Und jetzt setzt sie den Brexit durch. Ich bewundere auch, dass sie jeden Tag so gepflegt auftritt, die Kleidung, der Schmuck. Und sie lächelt immer. Aber die Augen zeigen etwas anderes. Ich frage mich, wie kann sie schlafen? Viktor: Man sieht ja, die Männer haben aufgegeben. Cameron etwa, oder Boris Johnson. Die Frau muss aufräumen.

„Wenn ich in England bin, hoffe ich immer, nicht krank zu werden.“Joanne

SN: Stichwort Boris Johnson, was denkt ihr über ihn? Viktor: Ein Windbeutel. Die größte Enttäuschu­ng überhaupt. Ich habe den eigentlich für witzig und gebildet gehalten. Aber jetzt ist er nur unseriös. So hat er für den Tag nach der Abstimmung zwei Kommentare geschriebe­n, die je nach Ergebnis erscheinen sollten: In einem bejubelt er das Ja, im anderen ein Nein zum Brexit. Joanne: Er ist ein sehr intelligen­ter Mann, die Engländer lieben ihn. Ein Clown. Und gefährlich.

SN: Die Briten sind ja für ihren trockenen Humor bekannt, was fällt ihnen in dieser Beziehung zum Brexit ein? Viktor: Zum Brexit – nichts. Ich finde nirgendwo etwas dazu. Man erinnert sich an „Spitting Image“(eine britische TV-Satireshow mit animierten Puppen, von 1984 bis 1996, Anm.). Joanne: Oder an „Monty Python“. Viktor: Zum Brexit fällt ihnen bisher aber noch nichts ein. Joanne: Vielleicht erst, wenn wir wirklich draußen sind.

SN: Wie verfolgt ihr die Ereignisse in Großbritan­nien? Viktor: Über Sky News, BBC und die „Times“. Die haben wir abonniert.

SN: Und bei einer Royal Wedding sitzt ihr dann gemeinsam den ganzen Tag vor dem Fernseher? Joanne: Ich schon. Von in der Früh bis zum Abend. Viktor: Eine ganze königliche Hochzeit halte ich nicht aus, aber hin und wieder hinschauen tue ich doch.

„Eine ganze königliche Hochzeit halte ich nicht aus.“Viktor

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BILD: SN/ROBERT RATZER Angeregte Gespräche bei einem Tee, der natürlich im Häferl serviert wird. Auf die traditione­lle Milch wurde jedoch verzichtet ...

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