Welches Gesicht ist schwermütiger?
Auf der Suche nach dem guten, richtigen Leben tastet eine Frau die Endstationen des Daseins ab.
SALZBURG. Wer erfährt, unter welchen Umständen sich die Künstlerin Esther Strauß mit erdigem Gesicht hat fotografieren lassen, wird entsetzt sein. Wer es weiß und die Porträts der Künstlerin betrachtet, erkennt zwischen dem linken und dem rechten subtile Unterschiede. Das linke Bild zeige eher Trauer, das rechte hingegen Verwundung, sagen die einen. Andere sehen das linke Gesicht als leichtherziger als das schwermütige rechte.
Jetzt hängt das Doppelporträt im Salzburger Bildungshaus St. Virgil. Dort begleitet Esther Strauß’ neue Ausstellung „Der letzte Raum“die derzeitige Österreichische Pastoraltagung – ein Beispiel für das Zusammenspiel von Kunst und Theologie. Esther Strauß ist eine der Vortragenden vor fast 400 Teilnehmern.
Die Erde in ihrem Gesicht ist aus dem Grab ihres Großvaters, der Anfang der 90er-Jahre gestorben ist. Dafür hat sie dessen Grab in Tarrenz im Tiroler Oberland ausgehoben. Sie habe dies mit bloßen Händen gemacht, dies sei „eine zärtlichere Art und Weise als mit dem Spaten“, sagt die Künstlerin. Der Sarg sei schon verfallen gewesen. Und die Steinmetzin des Friedhofs habe sie darauf hingewiesen, dass Knochen in verschiedenen Tiefen eines alten Grabs zu finden seien; infolge von wiederholtem Frieren und Tauen könnten Knochen wandern.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Großvaters habe sie keine identifizierbaren Knochen mehr gefunden. Die aus dem Grab entnommene Erde habe sie in zwei Performances verwendet. In der einen, 2015 im Sigmund-Freud-Museum in London, legte sie sich in diese Erde und schlief. Wie kann man in einem Museum schlafen? Sie nehme keinerlei Schlafmittel, versichert Esther Strauß. „Ich tu’ mich davor mehrere Tage lang übermüden, dann schlafe ich tief.“So entstehe ein beiderseitiges Geheimnis: Ihr bleibe verschlossen, wie groß das Publikum sei und wer sie anschaue. Dem Publikum wiederum bleibe verschlossen, „wie sich der Schlaf anfühlt und was ich träume“.
In der anderen Performance mit dem Titel „Opa“habe sie sich mit dieser Erde quasi gewaschen – also sie mit den Händen geschöpft und dann Bewegungen und Berührungen vollzogen, als ob sie Körper, Hände und Gesicht mit Wasser wüsche. Die Fotos des in St. Virgil ausgestellten Doppelporträts sind exakt gleich. Dass viele Betrachter Unterschiede erkennen, erklärt die Künstlerin mit dem „Hin- und Herschweifen des Blicks“. In jedem Blick fingen sich Gefühle, sodass jeder weitere Blick in Nuancen anders sei. „Es fängt an zu schwanken.“
Warum tut sie so etwas? Warum tastet sie die Erde des Grabs ihres Großvaters ab und nähert sich so sehr dem Tod? Sie wolle mit ihrer Kunst „auf radikale Weise nach dem Existenziellen fragen“, sagt Esther Strauß. Sie suche „das Menschliche im Menschen“, und dazu gehörten Trauer und Traurigkeit. Zudem sei die Sterblichkeit das, was alle Menschen erwarte und somit verbinde. „Den Tod werden wir alle teilen.“Und oft werde im Angesicht des Todes das Richtige und das Gute im Leben deutlicher als sonst. Ist sie ein melancholischer Mensch? Nein, erwidert die Tirolerin lachend. „Ich bin ein fröhlicher Mensch, der keine Angst vor Trauer hat!“Für sie sei Traurigkeit nicht bedrohlich. Allerdings betont sie: Jede Performance mache sie nur ein einziges Mal. Und nicht überall lasse sie Publikum zu.
So sei sie bei der Performance in der Wohnung ihrer kurz davor verstorbenen Großmutter einen Tag und eine Nacht allein gewesen. Sie selbst habe davon Text und Fotografien angefertigt, da sie nicht einmal einen Fotografen zugelassen habe. „Das Wesentliche ist die Intimität“, nehmen und einen künstlerischen, pietätvollen Umgang zu überlegen.
Der ist so geworden: Sie habe sich schon jetzt ihren eigenen Sarg bauen lassen und biete darin diesen Knochen der ihr unbekannten Menschen einen Platz. „Wir werden gemeinsam begraben sein“, sagt Esther Strauß. So lang sie lebe, seien die Knochen in ihrem Sarg geborgen. Was passiert derweil mit dem Sarg? Nach der Ausstellung komme er in ihr Atelier nach Wien. Ausstellung: Vernissage mit Gespräch: