Salzburger Nachrichten

Welches Gesicht ist schwermüti­ger?

Auf der Suche nach dem guten, richtigen Leben tastet eine Frau die Endstation­en des Daseins ab.

- „Der letzte Raum“von Esther Strauß, Bildungsha­us St. Virgil, Salzburg, bis 4. April. Heute, Freitag, 20.15 Uhr, Kurator Hubert Nitsch mit Esther Strauß, St. Virgil.

SALZBURG. Wer erfährt, unter welchen Umständen sich die Künstlerin Esther Strauß mit erdigem Gesicht hat fotografie­ren lassen, wird entsetzt sein. Wer es weiß und die Porträts der Künstlerin betrachtet, erkennt zwischen dem linken und dem rechten subtile Unterschie­de. Das linke Bild zeige eher Trauer, das rechte hingegen Verwundung, sagen die einen. Andere sehen das linke Gesicht als leichtherz­iger als das schwermüti­ge rechte.

Jetzt hängt das Doppelport­rät im Salzburger Bildungsha­us St. Virgil. Dort begleitet Esther Strauß’ neue Ausstellun­g „Der letzte Raum“die derzeitige Österreich­ische Pastoralta­gung – ein Beispiel für das Zusammensp­iel von Kunst und Theologie. Esther Strauß ist eine der Vortragend­en vor fast 400 Teilnehmer­n.

Die Erde in ihrem Gesicht ist aus dem Grab ihres Großvaters, der Anfang der 90er-Jahre gestorben ist. Dafür hat sie dessen Grab in Tarrenz im Tiroler Oberland ausgehoben. Sie habe dies mit bloßen Händen gemacht, dies sei „eine zärtlicher­e Art und Weise als mit dem Spaten“, sagt die Künstlerin. Der Sarg sei schon verfallen gewesen. Und die Steinmetzi­n des Friedhofs habe sie darauf hingewiese­n, dass Knochen in verschiede­nen Tiefen eines alten Grabs zu finden seien; infolge von wiederholt­em Frieren und Tauen könnten Knochen wandern.

Ein Vierteljah­rhundert nach dem Tod des Großvaters habe sie keine identifizi­erbaren Knochen mehr gefunden. Die aus dem Grab entnommene Erde habe sie in zwei Performanc­es verwendet. In der einen, 2015 im Sigmund-Freud-Museum in London, legte sie sich in diese Erde und schlief. Wie kann man in einem Museum schlafen? Sie nehme keinerlei Schlafmitt­el, versichert Esther Strauß. „Ich tu’ mich davor mehrere Tage lang übermüden, dann schlafe ich tief.“So entstehe ein beiderseit­iges Geheimnis: Ihr bleibe verschloss­en, wie groß das Publikum sei und wer sie anschaue. Dem Publikum wiederum bleibe verschloss­en, „wie sich der Schlaf anfühlt und was ich träume“.

In der anderen Performanc­e mit dem Titel „Opa“habe sie sich mit dieser Erde quasi gewaschen – also sie mit den Händen geschöpft und dann Bewegungen und Berührunge­n vollzogen, als ob sie Körper, Hände und Gesicht mit Wasser wüsche. Die Fotos des in St. Virgil ausgestell­ten Doppelport­räts sind exakt gleich. Dass viele Betrachter Unterschie­de erkennen, erklärt die Künstlerin mit dem „Hin- und Herschweif­en des Blicks“. In jedem Blick fingen sich Gefühle, sodass jeder weitere Blick in Nuancen anders sei. „Es fängt an zu schwanken.“

Warum tut sie so etwas? Warum tastet sie die Erde des Grabs ihres Großvaters ab und nähert sich so sehr dem Tod? Sie wolle mit ihrer Kunst „auf radikale Weise nach dem Existenzie­llen fragen“, sagt Esther Strauß. Sie suche „das Menschlich­e im Menschen“, und dazu gehörten Trauer und Traurigkei­t. Zudem sei die Sterblichk­eit das, was alle Menschen erwarte und somit verbinde. „Den Tod werden wir alle teilen.“Und oft werde im Angesicht des Todes das Richtige und das Gute im Leben deutlicher als sonst. Ist sie ein melancholi­scher Mensch? Nein, erwidert die Tirolerin lachend. „Ich bin ein fröhlicher Mensch, der keine Angst vor Trauer hat!“Für sie sei Traurigkei­t nicht bedrohlich. Allerdings betont sie: Jede Performanc­e mache sie nur ein einziges Mal. Und nicht überall lasse sie Publikum zu.

So sei sie bei der Performanc­e in der Wohnung ihrer kurz davor verstorben­en Großmutter einen Tag und eine Nacht allein gewesen. Sie selbst habe davon Text und Fotografie­n angefertig­t, da sie nicht einmal einen Fotografen zugelassen habe. „Das Wesentlich­e ist die Intimität“, nehmen und einen künstleris­chen, pietätvoll­en Umgang zu überlegen.

Der ist so geworden: Sie habe sich schon jetzt ihren eigenen Sarg bauen lassen und biete darin diesen Knochen der ihr unbekannte­n Menschen einen Platz. „Wir werden gemeinsam begraben sein“, sagt Esther Strauß. So lang sie lebe, seien die Knochen in ihrem Sarg geborgen. Was passiert derweil mit dem Sarg? Nach der Ausstellun­g komme er in ihr Atelier nach Wien. Ausstellun­g: Vernissage mit Gespräch:

 ?? BILD: SN/KUNSTRAUM ST. VIRGIL/ESTHER STRAUSS ?? Fotografie­n aus der Performanc­e „Opa“von Esther Strauß, 2015.
BILD: SN/KUNSTRAUM ST. VIRGIL/ESTHER STRAUSS Fotografie­n aus der Performanc­e „Opa“von Esther Strauß, 2015.
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