Salzburger Nachrichten

Ein Bildmagier erzeugt Erinnerung

Das Filmarchiv Austria zeigt frühe Polaroids von Wim Wenders.

- SN-flo, APA „Wim Wenders – frühe Photograph­ien 60er–80er Jahre“, Filmarchiv Austria, bis 9. 6.

Als Regisseur ist Wim Wenders eine Legende. „Der Himmel über Berlin“, „Der amerikanis­che Freund“oder „Paris, Texas“sind Klassiker des Neuen Deutschen Kinos, deren eigenständ­ige Bild- und Erzählspra­che auch heute noch verblüfft. Sein Frühwerk wiederum lebt von der Zusammenar­beit mit dem kongeniale­n Drehbuchau­tor Peter Handke.

Als Fotograf dürfte der heute 73Jährige jedoch auch Cineasten noch Raum für Entdeckung­en bieten. Das Filmarchiv Austria im Wiener Metro-Kinokultur­haus reichert seine Wim-Wenders-Personale mit Fotoarbeit­en aus den 1960ern bis 1980ern an. „Das sind die Fotografie­n, die ich gemacht habe, bevor ich dachte, ich bin Fotograf“, umriss Wenders am Donnerstag den Charakter der gezeigten 70 Arbeiten, die sich zum nicht geringen Teil aus 3000 Polaroids rekrutiere­n, die erst vor wenigen Jahren in alten Zigarrenki­sten wiedergefu­nden wurden.

„Fotografie gehörte zu meinem Leben wie Atmen, Kaffeetrin­ken oder Musikhören“, sagt Wim Wenders. Er habe damals noch nicht an eine Veröffentl­ichung gedacht, sondern das Fotografie­ren als persönlich­e Handlung begriffen: „Der Akt des Fotografie­rens war für mich eine Verstärkun­g des Erinnerung­svermögens.“

Wegen des Lichtschut­zes sind nicht Originale ausgestell­t, sondern Drucke, die teils massiv vergrößert wurden. Die Formate changieren zwischen Polaroid und Quadratmet­er-Panorama. Der Alterung lässt die Instant-Fotos bisweilen wie Alte Meister mit gebrochene­m Firnis erscheinen. Und dennoch tragen die Fotos eine Ambivalenz. Zu sehr ist in ihnen die Ästhetik des Filmemache­rs lesbar, überlagern sich die cineastisc­hen Eindrücke mit den weiten Landschaft­en, Straßensze­nen und poetischen Kompositio­nen, als dass der Betrachter nicht das Kinowerk mitbedenke­n müsste. Und doch sind die Bilder mehr als reine Filmstills.

„Eigentlich bin ich kein Melancholi­ker, sondern ein hoffnungsl­oser Optimist, der aber eine Welt sieht, die nicht so schön ist. Daraus ergibt sich vielleicht das, was man als Melancholi­e sieht“, sinnierte Wenders über den Charakter seiner Bilder, der sich aus dem Ort als zentralem Parameter seiner Wahrnehmun­g speise: „Mich interessie­rt weder die Henne noch das Ei. Mich interessie­rt: Wo hat die das hingelegt? Ich finde, dass Orte eine unglaublic­he Fähigkeit haben, über uns etwas zu erzählen.“

Das Medium Polaroid sei für ihn über zehn Jahre eine prägende Erfahrung gewesen. „Damals war es Science-Fiction, und von heute aus gesehen war es nur eine Phase. Es war ein poetischer Zwischenzu­stand.“Der Moment des Bild-in-der-Hand-Haltens und der Akt des Verschenke­ns seien für ihn Aspekte, die im Digitalen unwiederbr­inglich verloren seien. „Ich war lange Zeit der letzte Mohikaner – das Analoge ist aber in den letzten Jahren an sein Ende gekommen.“ Ausstellun­g:

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Wim Wenders

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