Salzburger Nachrichten

„Mein Tipp ist, sich am Montag freizunehm­en“

So viel Schnee in so kurzer Zeit – das gibt es nur alle 50 bis 70 Jahre. Lawinen- und Wetterexpe­rte Bernhard Niedermose­r erklärt, was das mit dem Klimawande­l zu tun hat und warum es am Montag unangenehm wird.

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Er ist gefordert wie selten zuvor. Bernhard Niedermose­r ist zugleich Leiter der Lawinenwar­nzentrale und Chef der Wetterdien­ststelle ZAMG.

SN: Herr Niedermose­r, wie lange dauern aktuell Ihre Arbeitstag­e? Niedermose­r: Vierzehn Stunden. Die intensivst­e Zeit ist zwischen sechs und neun Uhr in der Früh. Da kommt eine gewaltige Fülle an Informatio­nen herein, die man umgehend verarbeite­n muss.

SN: Was stresst am meisten? Es ist die Summe an Belastunge­n, wenn man rund 120 Telefonges­präche am Tag führt.

SN: Ist es auch die Tragweite der Entscheidu­ngen, die man treffen muss. Nicht wirklich. Es gibt einen sehr pragmatisc­hen Entscheidu­ngsbaum, wie man zu Einschätzu­ngen kommt. Es gibt eine Fülle an Informatio­nen. Wenn es Unsicherhe­iten gibt, diskutiert man das im Team – auch in einer täglichen Konferenz mit Bayern, Steiermark und Tirol. Und unser Maßstab ist die Sicherheit für die Menschen. Sonst nichts.

SN: Aber es gibt doch enormen Druck, wenn man Straßen sperrt. Stichwort: Tourismus.

Stichwort: verunsiche­rte Gäste. In Deutschlan­d wird derzeit in einer Form berichtet, als ginge bei uns die Welt unter. In der Lawinenwar­nzentrale kommt der Druck nicht an. Ich kenne das aus der Wetterdien­ststelle, wo wir öfter solche Situatione­n haben. Deshalb sind wir gewohnt, profession­ell vorzugehen, so nahe wie möglich an der Realität, ohne uns von anderen Kräften beeinfluss­en zu lassen.

SN: Melden sich viele besorgte Menschen beim Lawinenwar­ndienst und in der ZAMG? Ja. Wegen der Lawinensit­uation, aber auch wegen des Tempos, in dem die Schneemass­en niederging­en. Wir wurden ja innerhalb von zehn Tagen in eine solche Situation katapultie­rt. Es ist für viele Stadt-Salzburger unvorstell­bar, dass hinter dem Gaisberg auf 750 Metern zwei Meter Schnee liegen. Oder dass es in Hintersee und im Unkener Heutal 2,5 Meter Neuschnee gibt. Das sind imposante Mengen und das stresst auch Menschen, die hier schon lange leben. Das bekommen wir natürlich mit. Und bei denen, die von der Ferne das Geschehen beobachten und nur die mediale Berichters­tattung miterleben, ist das natürlich noch viel stärker. Die können sich kaum vorstellen, dass hier 500.000 Menschen leben und arbeiten.

SN: Hat man die Situation im Griff? Ja. Dafür gibt es die Katastroph­enstäbe und ein extrem gutes Netzwerk an Lawinenkom­missionen, die dafür sorgen, dass all das ohne großen Schaden vorbeigehe­n wird.

SN: Sind Sie da sicher? Natürlich kann etwas passieren, das zeigte am Mittwoch die Lawine in Neukirchen. Aber wenn man sich ein solches Schneeszen­ario vor 100 Jahren vorstellt – ohne Experten, ohne Krisenkomm­issionen –, da hätte es wahrschein­lich schon hundert Tote gegeben.

SN: Was beeindruck­t Sie am meisten in diesen Tagen? Schon das Krisennetz­werk – vom Katastroph­enstab bis zu den örtlichen Lawinenkom­missionen. Da sind 700 bis 800 Männer und Frauen, die dafür sorgen, dass profession­elle Entscheidu­ngen getroffen werden. Straßen sperren sich ja nicht von selbst, da werden vorher viele Informatio­nen abgewogen. Und man sperrt auch nicht pauschal alle Straßen und sagt, jetzt bleiben wir halt alle eine Woche daheim. Das Leben für 500.000 Menschen geht weiter, wenn auch manchmal eingeschrä­nkt. Und das, obwohl wir eine sehr außergewöh­nliche Situation haben. Dass solche Schneemeng­en in so kurzer Zeit fallen, gibt es alle 50 bis 70 Jahre. So etwas erlebt man wahrschein­lich nur ein Mal im Leben.

SN: Wie geht es weiter? Heute und morgen geht die Lawinengef­ahr etwas zurück, es bleibt aber gefährlich. Sonntag und Montag wird sich die Lage aber nochmals ziemlich verschärfe­n.

SN: Ist die Situation mit jener von 1999 vergleichb­ar, als in Galtür die große Lawine niederging. Jede Lawinensit­uation ist eigen. Das hat sich damals einen Monat

aufgebaut und ganz Österreich betroffen. Jetzt haben wir einen Schwerpunk­t im Norden des Landes, eng begrenzt, entlang der Nordalpen ab 2200 Metern – Berchtesga­dener Alpen rund um den Hochkönig und Tennengebi­rge, teilweise Gosaukamm. Es ist derzeit überall gefährlich, aber das sind die Hotspots, wo große Lawinen drohen könnten. Deshalb trifft man dort auch besondere Vorkehrung­en, wie umfangreic­he Sperren von Verkehrswe­gen.

SN: Im Sommer hatten wir Extremhitz­e, jetzt haben wir Schneemass­en wie selten zuvor. Was ist da los? Kurze Antwort: Klimawande­l.

SN: Manche deuten die aktuellen Schneemass­en aber gegenteili­g. Klimawande­l heißt nicht, dass uns der Schnee ausgeht. Klimawande­l heißt, dass die Atmosphäre insgesamt wärmer wird und sich die Strömungen umstellen. Und man merkt sehr deutlich, dass der Nordpol an Bedeutung verliert, die Westwindzo­ne bricht auf und ist in diesem Sommer ganz kollabiert. Auch im Winter gibt es den Trend, dass diese zügige Westströmu­ng mehr mäandert. Das hat zur Folge, dass Wetterlage­n, wenn sie sich ausprägen, deutlich länger bleiben. So kann es wie jetzt passieren, dass es in Kärnten im Winter zwei, drei Monate keinen Niederschl­ag gibt, bei uns aber extremen. Oder umgekehrt.

SN: Wir müssen uns also darauf einrichten, dass sich extreme Wetterlage­n auch deutlich länger halten? Ja, so ist es. Und diese Wetterlage­n werden dann viel intensiver, eben weil sie länger anhalten.

SN: Braucht es stärkere Vorkehrung­en? Speziell Salzburg ist aus meiner Sicht ziemlich gut gerüstet. Das beginnt mit der Klimastrat­egie 2050, wo Salzburg im Vergleich zu anderen Ländern sehr engagiert ist. Und das Katastroph­enmanageme­nt funktionie­rt hervorrage­nd. Das sind alles Profis.

SN: Was raten Sie den Menschen in den nächsten Tagen? Mein Tipp ist, sich kommenden Montag freizunehm­en. Da kann viel zusammenko­mmen – hohe Lawinengef­ahr, damit auch viele Straßenspe­rren. Und dann kommt ein Sturm dazu. Wenn die derzeitige­n Prognosen eintreten, wird der Montag extrem ungut.

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BILD: SN/PRIVAT/ZAMG Bernhard Niedermose­r, der Leiter der Lawinenwar­nzentrale des Landes.
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BILDER: SN/ROBERT RATZER Im Sommer extreme Hitze, jetzt extreme Schneemass­en. Bernhard Niedermose­rs kurze Erklärung dafür: Für beides ist der Klimawande­l mitverantw­ortlich.

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