Sebastian, der Ernährer, und das rote Wien
Das in knalligem ÖVP-Türkis gehaltene Plakat, mit dem die Wiener Volkspartei derzeit die Wartehäuschen der Wiener Linien schmückt, sagt mehr als tausend Message Controller. Es zeigt Bundeskanzler Sebastian Kurz – streng gebügeltes, aber offenes Hemd, Ärmel hochgekrempelt – an einem gutbürgerlichen Frühstückstisch sitzend, wie er gerade einer ihn anhimmelnden Wiener Vorzeigefamilie Orangensaft in die Gläser schenkt. „Entlastung für unsere Familien“, steht darunter. Sebastian, der Ernährer, lautet die subtil mitgeschickte Botschaft, Pardon: Message.
Für Familien wie diese macht Kurz Politik: fleißige Eltern, saubere Kinder, Esszimmeridylle. Nicht aber für jene Familien, wo „in der Früh nur mehr die Kinder aufstehen, weil die Eltern nicht arbeiten gehen“, wie der Bundeskanzler am Donnerstag in gezielter Provokation festgestellt hat. In der rot-grünen Wiener Stadtregierung brach daraufhin ebenso gezielte Empörung aus. Es handle sich um eine „massive Beleidigung der Wiener Bevölkerung“, befand die SPÖ. Doch eigentlich war vor allem diese SPÖ-Aussage eine massive Beleidigung der Wiener Bevölkerung. Denn diese besteht ja keineswegs mehrheitlich aus arbeitsscheuen Elementen, sie muss sich von des Kanzlers Schelte nicht betroffen fühlen und muss daher nicht verteidigt werden.
Die Episode macht deutlich, warum die Regierung immer noch in Umfragen voran liegt. Im Zentrum ihrer Politik steht der Mittelstand, dessen Angehörige einen Job haben und damit ihre Familien ernähren. So lebt der Großteil der Menschen (oder würde es zumindest gern tun). Alle anderen, und das sind nicht so viele, dass damit Wahlen zu gewinnen sind, werden von ÖVP und FPÖ leichten Herzens Rot und Grün überlassen.
Und was ist jetzt mit Wien? Erstens: Der dortige Wahlkampf ist mit dem Sager des Kanzlers wohl endgültig eröffnet. Und zweitens: Die Bundeshauptstadt ist, wie jede Metropole, ein Kulminationspunkt aller Probleme einer modernen Gesellschaft, von Armut bis Kriminalität. Das ist nur zum Teil Rot-Grün anzulasten. Taugt aber hervorragend als Wahlkampfmaterial.