Salzburger Nachrichten

Der Schneestur­m hat auch seine schönen Seiten

In Krisen rückt die Gesellscha­ft enger zusammen. Alle sind froh um die Helfer, die sonst kaum beachtet werden.

- MANFRED.PERTERER@SN.AT Manfred Perterer

Das Hauptmotiv lautet ganz einfach: Helfen

Eine Handvoll mutiger Bergretter kämpft um das Leben eines Tourengehe­rs. Der Mann ist unterhalb eines Steilhangs im freien Gelände von einer Lawine verschütte­t worden. Sie graben ihn rechtzeiti­g aus. Er lebt. Als sie ihn zur ärztlichen Versorgung ins Tal bringen wollen, sagt er: Nein. Er wollte lieber seine waghalsige Tour fortsetzen.

Drei junge Männer pfeifen auf die Absperrung und fahren mit ihren Snowboards in einen brandgefäh­rlichen Hang ein. Als sie nicht mehr weiterkomm­en, rufen sie um Hilfe. Bei der Bergung riskieren die Retter ihr Leben. Als Dank bekommen sie von den Burschen zur Antwort, ihnen sei die Gefahr durchaus bewusst gewesen. Es sei ihnen aber egal.

Zwei Erlebnisse, wie sie sich in den letzten Tagen häufig abgespielt haben. Vorwiegend junge Männer mit ausgeprägt­em Hang zur Selbstüber­schätzung bringen sich und andere in Gefahr. Am Ende sind sie meist uneinsicht­ig und treten ihren Lebensrett­ern respektlos gegenüber. Aus einer Vollkaskom­entalität heraus gehen sie davon aus, dass sie immer und überall gerettet werden müssen, und sei es noch so gefährlich. Da versteht man, wenn manchen Einsatzkrä­ften das Messer im Sack aufgeht.

Lebensgefä­hrliche Rücksichts­losigkeit gehört doppelt bestraft. Aus purem Leichtsinn und wider besseres Wissen in Gefahr Geratene sollen die Kosten für ihre Rettung selbst bezahlen. Und sie sollen sich auch rechtlich verantwort­en müssen. Denn sie setzen das Leben anderer aufs Spiel.

Allein im Land Salzburg riskieren 1400 Männer und Frauen der Bergrettun­g im Einsatz immer wieder ihr Leben. 300.000 Menschen sind in ganz Österreich bei den freiwillig­en Feuerwehre­n im Einsatz. Sie fragen nicht, ob es Tag oder Nacht ist, und auch nicht, wie viele Einsatzstu­nden so ein Rettungsta­g haben darf. Auch für die vielen Helferinne­n und Helfer des Roten Kreuzes ist der Zwölf-Stunden-Tag kein Thema.

Österreich im Schnee erlebt dieser Tage, was ein kooperativ­es System aus staatliche­n Einheiten (Polizei, Bundesheer, Straßen- und Energieunt­ernehmen) und freiwillig­en Organisati­onen (Feuerwehre­n, Rettungsdi­enste) zu leisten imstande ist. Ohne diese Zusammenar­beit wäre eine Krisensitu­ation wie die jetzige nicht zu bewältigen. Gleichzeit­ig bemerken wir ein Zusammenrü­cken der Zivilgesel­lschaft. Es schlägt wieder einmal die Stunde der Nachbarsch­aftshilfe.

Menschen, die andere gern unterstütz­en, werden mitunter belächelt, als Vereinsmei­er bespöttelt oder gar als psychisch Auffällige mit Helfersynd­rom geschmäht. Die ichzentrie­rte Gesellscha­ft kann mit Wesen, die sich positiv anderen zuwenden, nicht recht umgehen. Ein Dank kommt ihr nur schwer über die Lippen. Weder im Katastroph­enfall noch in den vielen Situatione­n des Alltags, wo in erster Linie Frauenhänd­e freiwillig pflegen und schützen.

Das Ehrenamt ist ein beliebtes Thema in politische­n Sonntagsre­den. Immer wenn der Hut brennt, werden Ideen geboren, wie der Einsatz am Nächsten belohnt werden könnte. Die jüngste ist es, Mitglieder von freiwillig­en Organisati­onen bei der Zuteilung von Gemeindewo­hnungen zu bevorzugen.

Der Gedanke hat Charme. Manche Gemeinden wollen so den Nachwuchs für ihre Vereine absichern. Trotzdem sollte in erster Linie die Bedürftigk­eit das Auswahlkri­terium Nummer eins für eine soziale Leistung bleiben.

Es ist auch zu bezweifeln, dass diese Art der Belohnung besonders zugkräftig sein wird. Laut Umfragen ist für mehr als 90 Prozent aller Freiwillig­en in Österreich das Hauptmotiv: anderen helfen. Sehr viele sagen auch, dass ihnen die Arbeit für die gute Sache persönlich etwas bringe, sie daraus Kraft schöpfen können.

Wirklich geholfen ist den Menschen, die freiwillig Gutes tun, wenn der Staat deren Arbeitgebe­r für die entfallene­n Arbeitsstu­nden entschädig­t. Wenn sie die ihnen zustehende Wertschätz­ung nicht nur an Sonntagen bekommen. Wenn ihre Tätigkeit ernst genommen und nicht belächelt wird. Wenn Beschimpfu­ngen, ja sogar Angriffe im Einsatz unterbleib­en.

Der Schnee dieser Tage hat vieles in diesem Land mit einem weißen Tuch zugedeckt. Gleichzeit­ig hat er aber etwas zutage befördert, was wir bereits verschütte­t geglaubt haben: die Nächstenhi­lfe. Das ist die schöne Seite des Sturms.

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