Der Schneesturm hat auch seine schönen Seiten
In Krisen rückt die Gesellschaft enger zusammen. Alle sind froh um die Helfer, die sonst kaum beachtet werden.
Das Hauptmotiv lautet ganz einfach: Helfen
Eine Handvoll mutiger Bergretter kämpft um das Leben eines Tourengehers. Der Mann ist unterhalb eines Steilhangs im freien Gelände von einer Lawine verschüttet worden. Sie graben ihn rechtzeitig aus. Er lebt. Als sie ihn zur ärztlichen Versorgung ins Tal bringen wollen, sagt er: Nein. Er wollte lieber seine waghalsige Tour fortsetzen.
Drei junge Männer pfeifen auf die Absperrung und fahren mit ihren Snowboards in einen brandgefährlichen Hang ein. Als sie nicht mehr weiterkommen, rufen sie um Hilfe. Bei der Bergung riskieren die Retter ihr Leben. Als Dank bekommen sie von den Burschen zur Antwort, ihnen sei die Gefahr durchaus bewusst gewesen. Es sei ihnen aber egal.
Zwei Erlebnisse, wie sie sich in den letzten Tagen häufig abgespielt haben. Vorwiegend junge Männer mit ausgeprägtem Hang zur Selbstüberschätzung bringen sich und andere in Gefahr. Am Ende sind sie meist uneinsichtig und treten ihren Lebensrettern respektlos gegenüber. Aus einer Vollkaskomentalität heraus gehen sie davon aus, dass sie immer und überall gerettet werden müssen, und sei es noch so gefährlich. Da versteht man, wenn manchen Einsatzkräften das Messer im Sack aufgeht.
Lebensgefährliche Rücksichtslosigkeit gehört doppelt bestraft. Aus purem Leichtsinn und wider besseres Wissen in Gefahr Geratene sollen die Kosten für ihre Rettung selbst bezahlen. Und sie sollen sich auch rechtlich verantworten müssen. Denn sie setzen das Leben anderer aufs Spiel.
Allein im Land Salzburg riskieren 1400 Männer und Frauen der Bergrettung im Einsatz immer wieder ihr Leben. 300.000 Menschen sind in ganz Österreich bei den freiwilligen Feuerwehren im Einsatz. Sie fragen nicht, ob es Tag oder Nacht ist, und auch nicht, wie viele Einsatzstunden so ein Rettungstag haben darf. Auch für die vielen Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes ist der Zwölf-Stunden-Tag kein Thema.
Österreich im Schnee erlebt dieser Tage, was ein kooperatives System aus staatlichen Einheiten (Polizei, Bundesheer, Straßen- und Energieunternehmen) und freiwilligen Organisationen (Feuerwehren, Rettungsdienste) zu leisten imstande ist. Ohne diese Zusammenarbeit wäre eine Krisensituation wie die jetzige nicht zu bewältigen. Gleichzeitig bemerken wir ein Zusammenrücken der Zivilgesellschaft. Es schlägt wieder einmal die Stunde der Nachbarschaftshilfe.
Menschen, die andere gern unterstützen, werden mitunter belächelt, als Vereinsmeier bespöttelt oder gar als psychisch Auffällige mit Helfersyndrom geschmäht. Die ichzentrierte Gesellschaft kann mit Wesen, die sich positiv anderen zuwenden, nicht recht umgehen. Ein Dank kommt ihr nur schwer über die Lippen. Weder im Katastrophenfall noch in den vielen Situationen des Alltags, wo in erster Linie Frauenhände freiwillig pflegen und schützen.
Das Ehrenamt ist ein beliebtes Thema in politischen Sonntagsreden. Immer wenn der Hut brennt, werden Ideen geboren, wie der Einsatz am Nächsten belohnt werden könnte. Die jüngste ist es, Mitglieder von freiwilligen Organisationen bei der Zuteilung von Gemeindewohnungen zu bevorzugen.
Der Gedanke hat Charme. Manche Gemeinden wollen so den Nachwuchs für ihre Vereine absichern. Trotzdem sollte in erster Linie die Bedürftigkeit das Auswahlkriterium Nummer eins für eine soziale Leistung bleiben.
Es ist auch zu bezweifeln, dass diese Art der Belohnung besonders zugkräftig sein wird. Laut Umfragen ist für mehr als 90 Prozent aller Freiwilligen in Österreich das Hauptmotiv: anderen helfen. Sehr viele sagen auch, dass ihnen die Arbeit für die gute Sache persönlich etwas bringe, sie daraus Kraft schöpfen können.
Wirklich geholfen ist den Menschen, die freiwillig Gutes tun, wenn der Staat deren Arbeitgeber für die entfallenen Arbeitsstunden entschädigt. Wenn sie die ihnen zustehende Wertschätzung nicht nur an Sonntagen bekommen. Wenn ihre Tätigkeit ernst genommen und nicht belächelt wird. Wenn Beschimpfungen, ja sogar Angriffe im Einsatz unterbleiben.
Der Schnee dieser Tage hat vieles in diesem Land mit einem weißen Tuch zugedeckt. Gleichzeitig hat er aber etwas zutage befördert, was wir bereits verschüttet geglaubt haben: die Nächstenhilfe. Das ist die schöne Seite des Sturms.