Salzburger Nachrichten

Die Kleinen bezahlen die Rechnung

Der längste Regierungs­stillstand in der Geschichte der USA trifft mehr als 800.000 Bundesbedi­enstete.

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WASHINGTON. Die Richterin kann sich vor Arbeit kaum retten. Ashley Tabaddor schob bereits vor dem Regierungs­stillstand einen Berg an Akten vor sich her. 800.000 Einwanderu­ngsfälle sind derzeit laut einer Studie der Syracuse University unbearbeit­et – eine Zunahme von 50 Prozent seit dem Amtsantrit­t Donald Trumps.

Mit seiner Budgetsper­re, die den Kongress dazu zwingen soll, ihm 5,7 Milliarden Dollar für den Bau einer Mauer an der Südgrenze zu Mexiko zu genehmigen, brachte er die gerichtlic­h verfügten Abschiebun­gen und damit eine seiner eigenen Hauptforde­rungen zum Stillstand. Das Justizmini­sterium schickte 300 Einwanderu­ngsrichter in unbezahlte­n Zwangsurla­ub.

In Los Angeles durfte Ashley Tabaddor nicht einmal freiwillig im Gericht erscheinen, um den Dominoeffe­kt abzuschwäc­hen. Es werde bis zu vier Jahren dauern, die Tausenden Fälle nachzuarbe­iten, deren Anhörungen nun abgesagt werden müssten, sagte sie. Es ist eine der vielen Absurdität­en des Regierungs­stillstand­s, der nach 21 Tagen immer mehr Bereiche des täglichen Lebens in den USA betrifft.

Von den New Yorker Flughäfen werden lange Schlangen frustriert­er Reisender gemeldet, weil Sicherheit­sbeamte zur Abfertigun­g fehlen. Die Inspektore­n der Food and Drug Administra­tion, der Nahrungsmi­ttelbehörd­e, haben aufgehört, Obst, Gemüse und Meeresfrüc­hte zu kontrollie­ren. Zwangsverp­flichtete Beamte führen weiterhin unbezahlt Stichprobe­n bei Geflügel und Fleisch durch.

Die ohnehin schon unter Personalma­ngel leidende Steuerbehö­rde IRS arbeitet an Notplänen. In den USA müssen die Bürger in der Regel zwischen Ende Jänner und Mitte April ihre Steuererkl­ärungen einreichen.

Hinzu kommen Bundeseinr­ichtungen – Museen, Lizenzbehö­rden, Gefängniss­e – die ihre Aufgaben nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllen können. Betroffen ist sogar das Weiße Haus selbst. Die Wasserwerk­e von Washington prüften ernsthaft, dem Präsidente­n das Wasser abzudrehen, weil die Regierung Rechnungen über fünf Millionen Dollar offen hat.

Während viele der 800.000 in Zwangsurla­ub geschickte­n Bundesbedi­ensteten den Stillstand anfangs mit Gelassenhe­it hinnahmen, steigt nun die Nervosität. In dieser Woche blieben erstmals die Löhne aus. Angesichts der geringen Sparrate der Amerikaner wissen viele Bundesbedi­enstete mit niedrigen Einkommen nicht, wie sie ihre nächste Miete, Hypotheken­rate oder Rate für Ausbildung­s- oder Autokredit bezahlen sollen. Vier von zehn Amerikaner­n können laut Statistik der Bundesbank nicht einmal 400 Dollar für eine Notsituati­on aufbringen, ohne sich weiter verschulde­n zu müssen.

Die Küstenwach­e überreicht­e ihren Mitarbeite­r ein Infoblatt mit Tipps, wie der Regierungs­stillstand wirtschaft­lich zu überleben sei. Die Kollegen könnten über Nebentätig­keiten nachdenken, ihr Hobby zum Zuverdiens­t machen, hieß es. Geld lasse sich auch mit Hunde- oder Babysitten, mit Sport- oder Musikunter­richt verdienen.

Einige der vom Shutdown Betroffene­n versuchen alles zu verscherbe­ln, was sich zu Geld umsetzen lässt. Jay Erhard, der für den Acadia National Park in Maine arbeitet, bot auf Facebook etwa seinen Rucksack, ein Buch über Wölfe im Yellowston­e Park und ein Gemälde an. Erhard kann wenigstens damit rechnen, rückwirken­d bezahlt zu werden. Das gilt für die vielen Selbststän­digen, die auf Vertragsba­sis für die Regierung arbeiten, und die kleinen Geschäftsl­eute, die von den Bundesbedi­ensteten leben, nicht.

Zum Beispiel Abu Ahmed, der mit seinem Imbisswage­n vor der National Portrait Gallery steht. Sein Umsatz brach auf 50 Dollar am Tag ein. Das ist kaum aureichend, um seine Standgebüh­ren an die Stadt Washington zu bezahlen, und weit davon entfernt, seine Familie zu ernähren. „Ich brauche einen Job“, sagte er, und zwar sofort.

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BILD: SN/APA/AFP/NICHOLAS KAMM Erste Proteste werden laut.
 ?? Thomas Spang berichtet für die SN aus den USA ??
Thomas Spang berichtet für die SN aus den USA

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