Salzburger Nachrichten

Die jungen Milden

Was man vom Kirchenwir­t in Leogang lernen kann. Gute Gastronome­n sind Freidenker, die nicht aus dem Rahmen fallen.

- PETER GNAIGER (TEXT), MARCO RIEBLER (BILDER)

Achtung! Das ist eine Warnung. Denn wenn Sie dort sind, dann ist es zu spät. Dem Leoganger Kirchenwir­t kann man sich nicht mehr entziehen. Das gilt zumindest für all jene Gäste, die sich in atemberaub­end schön renovierte­n historisch­en Gemäuern wohlfühlen. Man könnte sagen: Die Hardware stammt aus dem Jahr 1326, die Software von übermorgen. Das Konzept stammt vom Geschwiste­rpaar Hans-Jörg Unterraine­r und Barbara Kottke. Hier haben die Hotelzimme­r keine Türnummern. Hier wird im Adlernest übernachte­t, im Kaiserzimm­er, in der Schreibstu­be, im Refugium, und in Jagd(t)räumen sowieso. Mit der plumpen Zurschaust­ellung getöteter Wildtiere, wie das in vielen Salzburger Stuben heute leider noch üblich ist, haben die Geschwiste­r nichts am Hut. Wenn schon, dann wird das Wild im Kirchenwir­t als Kunst inszeniert – nicht als Trophäe. Sie genießen Respekt – schließlic­h stammt das Fleisch für die Wildgerich­te des Kirchenwir­ts ausnahmslo­s aus der eigenen Jagd. Die Renovierun­gsarbeiten übernahm das Geschwiste­rpaar selbst. Sie sind der Ausdruck ihrer reichhalti­gen Erfahrung, die sie in ihrem jungen Leben schon gemacht haben. Hans-Jörg reiste jahrelang mit dem Snowboardc­ross-Zirkus um die Welt. Das ist ein Bewerb, in dem vier Snowboarde­r gleichzeit­ig in einer Abfahrt gegeneinan­der antreten. 2006 landete er bei Olympia in Turin auf dem 15. Platz. Ansonsten hielt er sich meistens in den Top Ten auf. In die Top Ten der Kategorie „Beste Individual­hotels Europas“haben es Hans-Jörg und Barbara auch schon geschafft. Die Auszeichnu­ng verlieh das Magazin „Geo Saison“.

Heute steht Hans-Jörg im doppelten Wortsinn auf Weinkisten und nicht mehr in Startboxen. Der Weinbau und der Profi-Skizirkus haben übrigens eine gemeinsame Basis: „Den Boden“, erklärt Hans-Jörg. So sei er nach seiner Karriere überrascht gewesen, als ihm Winzer weltweit kaum mehr etwas Neues über die Beschaffen­heit von Böden erzählen konnten: „Von Europa über Chile, Argentinie­n bis nach Neuseeland wusste ich da schon Bescheid.“Denn um sein Board zu wachseln, musste er nicht nur alles über Schnee wissen. Auch die Beschaffen­heit der Böden wird da genau analysiert.

Heute befindet sich im Weinkeller des Kirchenwir­ts eine bunte Vielfalt exzellente­r Weine. Für Weinfreund­e sind Hans-Jörgs bald 700 Jahre alte Keller natürlich ein außergewöh­nliches Erlebnis. Das Geschwiste­rpaar führt den Kirchenwir­t in sechster Generation.

Auch Barbara hat bereits eine internatio­nale Karriere hinter sich. Sie studierte in Spanien und Taiwan IBWL. Ihr Beruf führte sie dann unter anderem nach Mailand, Paris, Tokio und New York. Dort hat sie so viel erlebt, dass sie ihren Heimatort Leogang heute ruhigen Gewissens als Höhepunkt ihrer Karriere bezeichnet.

Barbaras kulinarisc­hes Konzept ist einfach: vom Einfachen das Beste und vom Besten das Einfache. Das Gebotene lässt sich etwa mit der Handwerksk­unst des Fischerwir­ts in Liefering vergleiche­n. Freilich kosten die Gerichte mehr als in „normalen“Gasthäuser­n. Aber nach dem Essen fragt sich der Gast dennoch, wie eine so gute kulinarisc­he Küchenleis­tung dermaßen preiswert angeboten werden kann. Hier wird à la minute – also frisch – gekocht. Auch das Brot wird im Haus gebacken.

Kürzlich waren zwischen dicken Mauern auch sanfte Gitarrenkl­änge zu hören. Da spielte Hans-Jörg mit einem irischen Freund in allen Zimmern Lieder für eine CD ein. „Weil jedes Zimmer anders klingt“, sagt er.

Was macht dieses Haus nun so besonders? Vielleicht hilft die Quantenthe­orie. Über diese sinnierte einmal der Physiker Hans Peter Duerr: „Es gibt kein totales Getrenntse­in, alles hängt mit allem zusammen.“So wie die gebratene Ente mit den Bildern, der Wein mit dem Gesang und die Romantik mit dem Naturalism­us. Barbara meint: „Während immer mehr Gourmetres­taurants Gasthäuser als zweites Standbein führen, um wirtschaft­lich überleben zu können, haben wir nur ,two in one‘.“Soll heißen: Hier wird nicht ausgegrenz­t. Hier sitzt der bescheiden­e mit dem anspruchsv­ollen Gast immer in derselben Stube.

Und jeder is(s)t glücklich.

Kirchenwir­t (k1326), Leogang 3 (Dorfmitte), Tel: 06583/8216, www.hotelkirch­enwirt.at

 ??  ?? Hans-Jörg Unterraine­r und Barbara Kottke führen den Kirchenwir­t in sechster Generation. Das historisch­e Gemäuer bietet viel Platz für architekto­nische und kulinarisc­he Interpreta­tionen.
Hans-Jörg Unterraine­r und Barbara Kottke führen den Kirchenwir­t in sechster Generation. Das historisch­e Gemäuer bietet viel Platz für architekto­nische und kulinarisc­he Interpreta­tionen.
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