Salzburger Nachrichten

Anführungs­zeichen

- Teresa Präauer ist Schriftste­llerin. GASTAUTORI­N Teresa Präauer

Als der Schriftste­ller Robert Menasse eines späten Morgens, es war am ersten Tage des neuen Jahres 2019, aus unruhigen Träumen erwachte, worin Feuerwerke, Böller und knallende Sektkorken eine nicht unbeträcht­liche Rolle gespielt hatten, fand er sich in seinem Bett – das iPad zur Lektüre der internatio­nalen Tageszeitu­ngen war gleich griffberei­t am Nachtkästc­hen gelegen – mit den Auswirkung­en einer sogenannte­n Glaubwürdi­gkeitskris­e konfrontie­rt, die nicht nur die Politik erfasst hatte, die Medien, allerlei Autorität, sondern nun auch einen überschaub­aren Teil seiner Arbeit. Und zwar insofern, als ihm, von einem Historiker und in dessen Gefolge vom deutschen Feuilleton, vorgeworfe­n wird, wiederholt mit erfundenen Zitaten operiert zu haben. Der Vorwurf betrifft nicht sein literarisc­hes Schaffen, innerhalb dessen die Erfindung dem Erfinder, darüber ist man sich einig, zur Ehre gereicht, sondern sein essayistis­ches Werk, im Besonderen das „Manifest zur Ausrufung einer Europäisch­en Republik“, sowie mündlich getätigte Aussagen im Rahmen von Lesungen und öffentlich­en Gesprächsr­unden, die die Abschaffun­g der Nationalst­aaten in Europa als Idee, durchaus bedenkensw­ert, formuliert­en und zu diesem Zwecke die Thesen des ersten Kommission­svorsitzen­den der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft aus den späten 50er-Jahren cum grano salis referierte­n und dabei ein wenig, nun ja, adaptierte­n.

Menasse wachte also an jenem Morgen etwas verkatert auf, las die Anschuldig­ungen gegen sein Werk und seine Person, die zum Teil aufgeblase­n und übertriebe­n, zum anderen Teil sachlich und gerechtfer­tigt waren, und rief, noch ganz im baumwollen­en Pyjama und mit letzten Silvesterk­onfetti im Haar: „Gehts doch olle sch…!“

Einige Tage später sah sich der derart mit Vorwürfen Konfrontie­rte zur Klarstellu­ng genötigt und erklärte in einer österreich­ischen und parallel in einer deutschen Tageszeitu­ng, es handele sich bei den inkriminie­rten Textstelle­n nicht um Direktzita­te, sondern vielmehr um die Wiedergabe eines „Bedeutungs­kerns“. Er habe, dies war gewisserma­ßen sein Dienst am Leser und an der Leserin, eben prägnant zusammenge­fasst, was ansonsten „nicht in einem Satz“so einfach zu sagen gewesen wäre. Die Anführungs­zeichen, die Menasse, wie sich herausstel­lte, fälschlich­erweise gesetzt hat, seien, räumt er ein, ein Fehler gewesen, gleicherma­ßen seien sie aber dem ehrenvolle­n Bestreben geschuldet, einen fremden Gedanken nicht als den eigenen auszugeben. Dass wiederum der fremde Gedanke vom Fremden so wortwörtli­ch nicht geäußert wurde und damit als Zitat nicht belegt werden kann, sollte die eigene dichterisc­he Freiheit nicht unnötig beschränke­n. Sinngemäß habe er, Menasse, korrekt zitiert, was fehle, sei „… das Geringste: das Wortwörtli­che“.

Wozu also das ganze kleinstaat­liche Getue um ein paar zu Recht oder zu Unrecht gesetzte Anführungs­zeichen? Lassen wir Großzügigk­eit walten und fassen prägnant zusammen: Kafka muss nicht als Kafka ausgewiese­n werden, ein imaginiert­es iPad und ein baumwollen­er Herrenpyja­ma treffen im Wesentlich­en den Bedeutungs­kern eines geschäftig­en Tagesbegin­ns, und „Gehts doch olle sch…!“könnte ein Mann des wilden Wortes aus Wut durchaus so gerufen haben. Daran im Nachhinein herumzumäk­eln würde heißen, mit Kanonen auf Gänsefüßch­en zu schießen.

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